Oliver Tanzer

LUKAS BECK

Gedanken für den Tag

Oliver Tanzer über das Geben

"Die Mathematik der Güte". Warum die Gabe eines der besten Modelle nachhaltigen Wachstums ist, erklärt Oliver Tanzer, Wirtschaftsjournalist und Buchautor. - Gestaltung: Alexandra Mantler

Wer über die Gabe spricht, kommt am Begriff "Barmherzigkeit" nicht vorbei. Darüber lächeln die Nutzenspropheten oft gönnerisch - über die naiven Barmherzigen. Denn sie meinen, die Gabe entspringe dem guten Herzen und sei also real nichts wert. Aber sie vergessen, dass die Barmherzigkeit selbst bis heute überlebt hat. Der Grund dafür könnte darin liegen, dass sie selbst nützlich ist und nicht so naiv wie angenommen.

Nehmen wir etwa die Geschichte einer bitterkalten Winternacht, als der römische Offizier Martinus einem Bettler die Hälfte seines Mantels gab. Es gibt Ökonomen, die meinen, Martin sei naiv gewesen. Er hätte lieber eine Kleiderfabrik eröffnen sollen, das hätte mehr Arme gerettet. Aber diese Ökonomen haben die Geschichte nicht zu Ende gelesen. Als ein Offizier Martin nämlich anklagt, seine Uniform zerschnitten zu haben, das Eigentum des Kaisers, sagt Martin nicht: "Es war meine christliche Pflicht, das zu tun". Er sagt: "Ich habe den Mantel nicht zerteilt, ich habe ihn verdoppelt."

Dieser Satz entwickelt nur dann Sinn, wenn Martin menschliche Wärme aus-geteilt hat, nicht bloß einen Fetzen. Denn Wärme und Zuwendung sind Güter, die sich ganz ohne Fabrik vermehren können. Sie verhalten sich wie der Glaube eines Investors an den sicheren Erfolg an den Börsen. Diesen Glauben teilt er anderen mit und steckt sie damit an. Bei Martin und dem Bettler verhält es sich ähnlich, denn der Bettler berichtet am nächsten Tag zwei seiner Freunde begeistert über die Tat des Martin - und die Freunde erzählen es wieder anderen Freunden.

Diese Arithmetik ist mit ein Grund für den Erfolg des Christentums. Es kann sich exponentiell vermehren. Der Unterschied zum Investor auf den Finanzmärkten ist, dass die Energie der Zuwendung unendlich ist, während sich Zuversicht auf den Finanzmärkten oft als kurze und kranke Liebe zu einer Fantasie herausstellt: Sie glaubt nämlich, dass auch Geld wachsen könne wie menschliches Gefühl. Aber diese Gabe hat das Geld nicht.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Jimmy Crane
Komponist/Komponistin: O. Jacobs
Komponist/Komponistin: Gabler
Album: NAT KING COLE
Titel: If I give my heart to you
Solist/Solistin: Nat King Cole /Gesang m.Begl.
Länge: 02:59 min
Label: Laserlight 15233

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