Aufführung von Steve Reich, 2002

APA/ROLAND SCHLAGER

Radiokolleg

Weniger ist mehr

Minimalismus in der Musik (1).
Gestaltung: Thomas Miessgang

Man kann die Geschichte der Musik nicht nur als endlose Folge von Klangereignissen, die sich über Jahrhunderte verteilen erzählen, sondern auch als History der Absenz, der Konzentration und der Reduktion, die dazu beitrugen, die Kraft und Energie des Sounds herauszudestillieren. Es gibt die klassische Minimal Music von Steve Reich, Philip Glass oder LaMonte Young, die in den 1960er Jahren in den USA populär wurde und mit den an Gamelan, Raga und anderen asiatischen Ästhetiken geschulten Klängen und ihren Wiederholungsmustern einen markanten Kontrapunkt zu den überdeterminierten (post)seriellen Kompositionsstrukturen der westlichen Kunstmusik setzten. Der Minimalismus, wie er sich etwa in der mittlerweile klassischen Komposition "In C" von Terry Riley manifestierte, ist im Lauf der Jahrzehnte in zahlreiche andere Genres und Musikmilieus diffundiert.
Minimal Techno, Dub, die von Brian Eno inaugurierte Ambientmusik oder Drone-Klänge aus übersteuerten Verstärkern leben alle von der Überwältigungsgeste einer auf Trance und Ekstase zielenden Repetitionsästhetik. Doch Minimalismus ist auch in Bereichen zu finden, wo man ihn auf den ersten Blick gar nicht vermuten würde. Etwa in den 1-Akkord-Blues-Exerzitien von John Lee Hooker oder im Gitarrenstück "Rumble" von Link Wray, das als Millionenseller des Instrumentalpop zu einem bedeutenden Manifest eines Sechs-Saiten-Minimalismus wurde. Minimaler kompositorischer Anspruch bei gleichzeitig maximaler rhythmischer Durchschlagskraft spielt aber auch in den afroamerikanischen Popstilen seit den 1960er Jahren eine Rolle: Von den mit Fortdauer der Karriere immer reduzierteren Funk-Skeletten des James Brown bis zu den davon abgeleiteten Fusion-Experimenten von Miles Davis und seinen Schülern und dem frühen Hip Hop, der mit seinem Rhythmusbox-Boom Bap plus Stimme geradezu archetypisch die Philosophie des 'Weniger ist mehr' verkörpert. Wobei sich im Vergleich von afroamerikanischem und 'kaukasischem' Minimalismus ein grundsätzliches politischer Dilemma auftut: "Wenn man James Brown als monoton wahrnimmt," schreibt der Musikphilosoph David Toop, "dann ist das ein Überleben des Glaubens, dass schwarzer Minimalismus eine Form der Unfähigkeit darstellt, wohingegen der weiße Minimalismus eng mit Geist und Intellekt verbunden ist".

Die Sendereihe "Weniger ist mehr" versucht die verschiedenen Spielarten einer minimalen Musik, ihre politischen und gesellschaftlichen Konnotationen und ihre ästhetischen Reperkussionen in den Klängen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auszuloten und zu zeigen, dass in der Schleifenästhetik und in der minimalen Graduierung von Kompositionselementen und Timbres bis heute ein (klang)revolutionäres Potential liegt. Es gilt immer noch ein Motto von Albert Einstein: "Mach die Dinge so einfach wie möglich - aber nicht einfacher".

Service

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Sendereihe

Gestaltung

  • Thomas Mießgang

Playlist

Komponist/Komponistin: Steve Reich
Titel: Pulses
I: Steve Reich
Label: ECM 1129

Komponist/Komponistin: McDaniels
Titel: Bo Diddley
I: Bo Diddley
Label: Chess LP 1431

Komponist/Komponistin: Summer/ Moroder/ Bellte
Titel: I feel Love
I: Donna Summer
Label: Casablanca FEEL 12

Komponist/Komponistin: Sunn o)))
Titel: Mocking Solemnity
I: Sunn o)))
Label: Southern Lord SUNNN15

Komponist/Komponistin: Schlothauer
Titel: Original Mircotonal Poyphonia
I: Ensemble Wandelweiser
Label: Edition Wandelweiser Records EWR0502

Komponist/Komponistin: Lynch
Titel: Air
I: Matador
Label: Rukus RUKUS017

Komponist/Komponistin: Zeitkratzer
Titel: Not tied, Knot untied
I: Zeitkratzer
Label: Zeitkratzer Records zkr 9901

Komponist/Komponistin: Feldman
Titel: Projection 1 for Cello Solo
I: David Gibson
Label: Columbia Masterworks ML 5403

Komponist/Komponistin: Radigue
Titel: OCCAM 1
I: Rodri Davies
Label: Shilin shiiin eer1

Komponist/Komponistin: Radigue
Titel: Trilogie de la Mort
I: Eliane Radigue
Label: Experimental Intermedia Foundation XI 1192,33

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