Praxis - Religion und Gesellschaft
Streitpunkt "Politischer Islam"
Politischer Islam in Österreich +++ Libanon - Corona als Brandbeschleuniger +++ Philippinen: Unerschrockene Nonne auf der Todesliste
22. Juli 2020, 16:05
1. Politischer Islam in Österreich
Erst die Nachricht, dass das umstrittene König-Abdullah-Zentrum für interreligiösen und interkulturellen Dialog wegen anhaltender Kritik von Wien nach Genf übersiedeln wird, dann die Zusammenstöße im Wiener Bezirk Favoriten zwischen kurdischen Demonstranten und Anhängern der "Grauen Wölfe" und schließlich vergangene Woche die Präsentation der neuen "Dokumentationsstelle für Politischen Islam" durch Integrationsministerin Susanne Raab. Mit der Einrichtung einer Dokumentationsstelle hat Integrationsministerin Susanne Raab in der muslimischen Community viel Kritik geerntet. So hat etwa die Islamische Glaubensgemeinschaft Österreichs Mittwoch früh in einer Aussendung erklärt, eine "Zusammenarbeit unter diesen Umständen sei unzumutbar". Auch Nicht-Muslime werfen Raab Populismus vor und sehen darin eine einseitige Diskriminierung des Islam. Hauptkritikpunkt: Eine präzise Definition des politischen Islam fehle und damit sei nicht klar, was unter diesen Begriff falle.
Doch es gibt auch Befürworter der Einrichtung solch einer Stelle, auch von muslimischer Seite. So trat die Integrationsministerin mit dem Extremismusforscher Lorenzo Vidino von der George Washington Universität auf der einen Seite und dem Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide, der vergangene Woche mit seinem neuen Buch in der "Praxis" zu hören war, auf. Judith Fürst hat bei der Journalistin Gudrun Harrer, der Politikwissenschaftlerin Nina Scholz und bei Tarafa Baghajati, Mitbegründer der Initiative Muslimischer Österreicher und Österreicherinnen, nachgefragt: Wie groß sind die Probleme mit dem sogenannten "politischen Islam" in Österreich wirklich? Und was halten sie von der neuen Dokumentationsstelle?
2. Libanon - Corona als Brandbeschleuniger
Der Libanon ist - neben Israel - das einzige langjährig demokratisch regierte Land im Nahen Osten, doch der Libanon kämpft mit vielen Problemen, die durch die Corona-Pandemie noch verstärkt werden:
Das Land hat eine Bevölkerung von etwa sechseinhalb Millionen Menschen; am Höhepunkt des Krieges in Syrien lebte rund eine Million registrierter Flüchtlinge im Libanon, die Dunkelziffer könnte fast eine weitere Million betragen. Es gibt 18 anerkannte Religionsgemeinschaften, wichtige Staatsposten werden nach Religionszugehörigkeit aufgeteilt, das ist in der Verfassung verankert. Aber von Oktober 2019 bis Jänner 2020 haben große Teile der Bevölkerung gegen Missstände demonstriert, für die dieses System und seine etablierten Eliten verantwortlich gemacht wurden: Die Arbeitslosigkeit steigt gewaltig, über 50 Prozent der Bevölkerung sind unter die Armutsgrenze gerutscht und vor allem junge Menschen verlassen in Scharen das Land. Ende Jänner 2020 ist schließlich eine Expertenregierung eingesetzt worden, die Lösungen erarbeiten sollte. Doch im Februar wurde erstmals eine Corona-Infektion im Land festgestellt. Die weiteren Ereignisse sind vor der internationalen Corona-Berichterstattung in den Hintergrund getreten. - Gestaltung: Lise Abid
3. Philippinen: Unerschrockene Nonne auf der Todesliste
Auf den Philippinen regiert Präsident Rodrigo Duterte seit 2016 mit harter Hand: Er hat Drogendealern den Krieg erklärt und bei der Gelegenheit werden auch unliebsame Regierungskritiker, Journalistinnen, Priester und Ordensfrauen zum Schweigen gebracht. Auf der Rangliste des Weltfriedensindexes, der Staaten nach ihrer Einhaltung der Menschenrechte ordnet, lagen die Philippinen im Jahr 2019 auf Platz 134. Immer wieder fällt Duterte durch menschenverachtende Äußerungen auf, aber nicht nur das: Menschenrechtsorganisationen beschuldigen ihn der außergerichtlichen Tötungen von Kritikerinnen und Kritikern. Nach ihrer Einschätzung ist nun die katholische Ordensschwester Mary John Mananzan in seinem Visier. Eine Regierungsangehörige beschuldigt sie auf Facebook, eine terroristische Organisation zu unterstützen. Die 82-jährige Missions-Benediktinerin ist eine engagierte Menschenrechtlerin und Feministin mit einer eigenen Talkshow im philippinischen Fernsehen. Rebecca Hillauer hat mit ihr gesprochen.
Service
Mouhanad Korchide, "Gottes falsche Anwälte. Der Verrat am Islam", Verlag Herder
Nina Scholz, Heiko Heinisch, "Alles für Allah. Wie der politische Islam unsere Gesellschaft verändert", Verlag Molden
Birgit Schäbler, "Moderne Muslime. Ernest Renan und die Geschichte der ersten Islamdebatte 1883", Verlag Ferdinand Schöningh
Praxis 15.7.2020: Islamischer Theologe Khorchide: Unterdrückung ist Verrat am Islam
Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen
Wikipedia: Gudrun Harrer
Wikipedia: Mary John Mananzan
Missio: Schwester Mary John Manazan auf den Philippinen