ORF/URSULA HUMMEL-BERGER
Gedanken für den Tag
Michael Bünker über Walter Benjamin
"Der Engel der Geschichte". Anlässlich von Walter Benjamins 80. Todestag erinnert der evangelische Theologe und emeritierte Bischof Michael Bünker an den Philosophen, dessen Einfluss auf die moderne Philosophie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts enorm war
25. September 2020, 06:56
Walter Benjamin, der Wachrüttler, war viel auf Reisen. Schon ein Jahr nach der Matura fuhr er nach Italien. Dann nach Paris, Marseille, Neapel und Moskau. Überall sieht er: Es geht auch anders als daheim in Berlin!
Bis kurz vor der Machtergreifung Hitlers hat sich Walter Benjamin in Berlin noch durchschlagen können. Immer wieder auch als Autor, Moderator und Sprecher in Rundfunksendungen. Darunter auch solche für Kinder. Eine trägt den Titel "Radau um Kasperl". Die neuen Medien Rundfunk, Fotografie und Film faszinierten ihn von Anfang an. "Durch Bruch, Entfremdung und Entstellung kann auch die Kunst die glatte Oberfläche aufsprengen, hinter der der Lügentraum des Kapitalismus die Menschen gefangen hält. In einem kleinen Fragment beschrieb Walter Benjamin den Kapitalismus als Religion. Er diene, so meinte Benjamin, essenziell der Befriedigung derselben Sorgen, auf die ehemals die Religionen eine Antwort gaben. Aber im Unterschied zu den Religionen kennt der Kapitalismus weder Sühne noch Vergebung. Er ist von Natur aus gnadenlos. Deshalb müssen aus diesem Lügentraum auch die Menschen wachgerüttelt werden.
Die Erlösung der Vergangenheit aus der Gewalt der Geschichte, nach der sich Benjamins Angelus Novus so sehr sehnt, schafft die Voraussetzung, dass sich der revolutionäre Augenblick ereignen kann. Es braucht also einen "Tigersprung ins Vergangene", um all das, was unabgegolten ist, die unerfüllten Wünsche und Träume, die namenlosen Opfer zu vergegenwärtigen. Die Trümmerhaufen der Geschichte bergen das revolutionäre Potential. Nicht die Versprechungen einer besseren, einer heilen Welt, dass alles gut wird. Mit solchen Versprechungen führte der Faschismus in den Abgrund. Weil, so Benjamin: "Nur um der Hoffnungslosen willen ist uns die Hoffnung gegeben".
Aber seit der Machtergreifung Hitlers stand fest: Walter Benjamins Leben war in Gefahr, er konnte nicht in Deutschland bleiben. Im März 1933 ging er ins Exil.
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Sendereihe
Gestaltung
Übersicht
Playlist
Komponist/Komponistin: Laurie Anderson
Album: STRANGE ANGELS
Titel: My eyes
Solist/Solistin: Laurie Anderson /Gesang m.Begl.
Länge: 05:29 min
Label: WB 9259002