Paul Celan

ÖNB

Gedanken für den Tag

Cornelius Hell über Paul Celan

"Niemand knetet uns wieder aus Erde und Lehm". Der Literaturkritiker und Übersetzer Cornelius Hell anlässlich des 100. Geburtstages von Paul Celan

"EINMAL
da hörte ich ihn,
da wusch er die Welt,
ungesehn, nachtlang,
wirklich.

Eins und Unendlich,
vernichtet,
ichten.

Licht war. Rettung."

Dieses Gedicht von Paul Celan geistert mir durch den Kopf, seit ich es zum ersten Mal gelesen habe. Es bildet den Schlussstein des 1967 erschienenen Gedichtbandes "Atemwende". Es verrät nicht, wer dieser "er" ist, der nur zu hören, nicht aber zu sehen ist, der "nachtlang, wirklich" die Welt wusch. Damit ist wohl die Reinigung die Wiederherstellung der Welt gemeint, die verschmutzt war. Also kein apokalyptischer Weltenbrand, der sie zerstört, aber auch keine Verheißung eines neuen Himmels und einer neuen Erde wie am Ende der Apokalypse des Johannes, sondern ein behutsames Waschen.

Einmal - die erste Verszeile ist auch der Titel des Gedichtes. Aber was bedeutet sie? Ist einmal im Sinne des Märchenbeginns Es war einmal zu verstehen, ist hier also von lange vergangenen Zeiten die Rede, oder meint einmal: ein einziges Mal - also einen unwiederholbaren Vorgang? So oder so - das Gedicht erzählt im Präteritum, von einer bevorstehenden Wiederholung ist nicht die Rede.

Paul Celan hat viele Wörter neu gebildet und oft seltene Wortfunde in seine Gedichte integriert, wie etwa hier das Wort "ichen": Im Grimmschen Wörterbuch ist es angeführt in der Bedeutung von ich sagen. Aber was bedeuten dann die drei Zeilen der zweiten Strophe? "Eins und Unendlich, / vernichtet, / ichten" - ist es so zu verstehen, dass die Aufhebung, die Vernichtung des Gegensatzes von Eins und Unendlich ein Ich-Sagen ermöglicht? Wie viele Gedichte von Celan lässt sich auch dieses nicht einfach "erklären" oder gar in Begriffe übersetzen. Gerade deswegen bleibt es mir so beharrlich in Erinnerung. Und durch die Lautbrücke, die die zweite Strophe mit der Schlusszeile verbindet: "vernichtet, / ichten. Licht."

Paul Celan hat empfohlen, seine Gedichte zu lesen, wieder und wieder, das Verständnis komme dann von selbst. So will ich es noch einmal versuchen:

"EINMAL
da hörte ich ihn,
da wusch er die Welt,
ungesehn, nachtlang,
wirklich.

Eins und Unendlich,
vernichtet,
ichten.

Licht war. Rettung."

Service

Paul Celan, "Die Gedichte. Neue kommentierte Gesamtausgabe", Suhrkamp Verlag
Paul Celan, "etwas ganz und gar Persönliches. Briefe 1934-1970", Ausgewählt, herausgegeben und kommentiert von Barbara Wiedemann, Suhrkamp Verlag
Thomas Sparr, "Todesfuge. Biographie eines Gedichts", Deutsche Verlags-Anstalt
Wolfgang Emmerich, "Nahe Fremde. Paul Celan und die Deutschen", Wallstein Verlag
Hans-Peter Kunisch, "Todtnauberg. Die Geschichte von Paul Celan, Martin Heidegger und ihrer unmöglichen Begegnung", Deutscher Taschenbuch-Verlag
Michael Eskin, "Schwerer werden. Leichter sein. Gespräche um Paul Celan. Mit Durs Grünbein, Gerhard Falkner, Aris Fioretos und Ulrike Draesner", Wallstein Verlag
Klaus Reichert, "Erinnerungen und Briefe. Paul Celan", Suhrkamp Verlag
Jan-Heiner Tück, "Gelobt seist du, Niemand. Paul Celans Dichtung - eine theologische Provokation", Herder Verlag
Irene Fußl, "Geschenke an Aufmerksame. Hebräische Intertextualität und mystische Weltauffassung in der Lyrik Paul Celans", Verlag de Gruyter


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Sendereihe

Gestaltung

Übersicht

Playlist

Komponist/Komponistin: Erik Satie/1866 - 1925
Album: Klaviermusik von Erik Satie
* Gnossienne Nr.3 < 1890 > (00:02:15)
Titel: GNOSSIENNES für Klavier Nr.1 - 6
Solist/Solistin: Yitkin Seow /Klavier
Länge: 02:00 min
Label: Hyperion CDA 66344

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