Beate Winkler über die Kunst der Möglichkeit

5. Dezember 2020, 06:56

Ein kurzer Witz: Der Rabbi beobachtet Moshe, wie er rennt und rennt. Er ruft dem Moshe zu: "Wohin rennst du denn so schnell?" "Ich renn dem Glück hinterher, Rabbi!" antwortet Moshe. "Woher weißt du, dass es vor dir und nicht hinter dir liegt?" sagt der Rabbi.

Das ist in der Tat eine gute Frage. Ich glaube, dass vieles, was mich erfüllt, schon am Beginn meines Lebens vorhanden war. Meine Freude an Kreativität, Spiel, Freiheit, Schönheit, Neugier, Verwandlung. Jetzt bohre ich wieder Löcher in meine Vorstellungswelt. Mit der Kunst der Möglichkeit - der Möglichkeit der Kunst. Die Kunst gibt mir immer wieder neue Perspektiven und ist eine unterschätzte Ressource auch beim gesellschaftlichen Wandel.

Als Künstlerin bin fasziniert vom weißen Papier, eine Quelle der Inspiration, ständig neu zu denken und zu fühlen. Es sind die unerschöpflichen Möglichkeiten und Mittel, die mir zur Verfügung stehen: Farben, Tinte, Leinwand, Papier, Pinsel, Schwämme, Wasser, Stifte, Lappen, Kämme, Hände, Füße - es ist alles, was mich umgibt und ich bin. Und Kunst gibt mir die Möglichkeit, mich selbst neu zu erfahren: Welche Grenzen habe ich, wie überschreite ich sie? Wie reagiere ich auf Prozesse, die ich nur ganz begrenzt steuere? Und muss ich Bilder an die Wand nageln? Ich kann sie doch auch ein- und ausrollen! Sie an die Decke hängen und zu fliegenden Skulpturen werden lassen.

Es gibt immer mehr Möglichkeiten, als ich ahne. Und für die Betrachterin und den Betrachter ebenso. Viele meiner Bilder haben eine Rückseite, die aber nicht zu sehen ist - und trotzdem vorhanden. Alles ist auch Dialog. Beim Entstehen, Vermitteln und Betrachten von Kunst. Daher sollten wir gerade jetzt die Kunst mit ihrem Freiraum, ihrer Vorstellungskraft und ihrer Kreativität in den Mittelpunkt stellen. Denn nicht zuletzt vermittelt sie mir Schönheit und Lebensfreude - und den Weg ins Freie.

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• Alexandra Mantler