Inge Maux über die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr

30. Dezember 2020, 06:56

Es war ein anstrengendes Jahr, dieses 2020, das übermorgen schon hinter uns liegen wird. Da passt ganz gut das Gedicht von Bertolt Brecht:

Sylvester-Nacht
Sylvesterglocken schallen
Durch blaue Winternacht.
Aufs still verträumte Städtchen
Fallen Schneeflocken sacht.
Und aus den kleinen Häusern
Dringt goldner Lichterschein
Trauliche, alte Lieder
Singen die Kinder fein.
Sylvesterglocken schallen
Von allem, was heuer war
Geleiten singend zur Ruhe
Das alte müde Jahr.

Ja, ein bisschen müde sind wir wohl alle: von Lockdowns und Homeschooling, von Quarantäne und Sorgen - um die Gesundheit, um die Existenz, um jene, die wir lieben. Wenig zu lachen hatten wir dieses Jahr. Dann zumindest zum Jahresausklang schmunzeln mit Joachim Ringelnatz:

Silvester I
Dass bald das neue Jahr beginnt,
Spür ich nicht im geringsten.
Ich merke nur: Die Zeit verrinnt
Genau so wie zu Pfingsten,
Genau wie jährlich tausendmal.
Doch Volk will Griff und Daten.
Ich höre Rührung, Suff, Skandal,
Ich speise Hasenbraten.

Mit Cumberland, und vis-à-vis
Sitzt von den Krankenschwestern
Die sinnlichste. Ich kenne sie
Gut, wenn auch erst seit gestern.

Champagner drängt, lügt und spricht wahr.
Prosit, barmherzige Schwester!
Auf! In mein Bett! Und prost Neujahr!
Rasch! Prosit! Prost Silvester!

Die Zeit verrinnt. Die Spinne spinnt
In heimlichen Geweben.
Wenn heute nacht ein Jahr beginnt,
Beginnt ein neues Leben.

Service

Bertolt Brecht: Sylvester-Nacht, aus: B.B. Werke, Bd.13, Suhrkamp Verlag
Joachim Ringelnatz in "Prosit Neujahr! Silvestergedichte", Manesse Bücherei

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Sendereihe

• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler