Frau hält sich den Rücken

DPA/ARNO BURGI

Medizin und Gesundheit

Chronische Rückenschmerzen

Cannabis, Bewegung und Betreuung durch Expertenteams - Effektive Behandlungsmöglichkeiten von Rückenschmerzen

Österreich ist ein Kreuzwehland.
Neun von zehn Personen leiden hierzulande im Laufe ihres Lebens an Beschwerden der Wirbelsäule. In der Hälfte der Fälle ist "das Kreuz" - also der Lendenwirbelbereich - betroffen. Die Zahl der Personen, die an chronischen Schmerzen im Bereich des Rückgrates leiden, ist enorm - es handelt sich um fast zwei Millionen Menschen. Zwei Drittel davon sind übrigens Frauen.
Je älter die Befragten, desto häufiger macht der Rücken Probleme.
Auf körperlicher Seite sind vorwiegend eine sitzende Tätigkeit, mangelnde Bewegung oder Übergewicht Wegbereiter für die Beschwerden.
Doch auch psychische Probleme oder Überlastungssituationen äußern sich oft in Form von Rückenschmerzen.

Chronische Schmerzen als Krankheit nicht anerkannt

Chronische Schmerzen sind nicht als eigenständige Krankheit anerkannt. Sie werden als Signal, Symptom oder Folge eines Fehlverhaltens eingeordnet. Betroffene erleben häufig, dass man ihnen ihr Leid nicht abnimmt. Die fehlende Anerkennung kann in manchen Fällen auch zu einem sozialen Abstieg führen. Denn sind Schmerzpatienten nicht mehr arbeitsfähig, bekommen sie keine Pension ausbezahlt. Des Weiteren benötigen viele Betroffene im Alter eine höhere Pflegestufe.
2022 wird die WHO chronische Schmerzen endlich als eigenes Krankheitsbild definieren. So wird es erstmals möglich, dauerhaftes Leid zu dokumentieren und zu analysieren. Dies könnte zu einer Trendwende auch in der Betreuung führen.

Covid-19 als Herausforderung für Schmerzpatienten

Die Vizepräsidentin der Österreichischen Schmerzgesellschaft, Dr.in Waltraud Stromer, kennt die prekäre Lage von Schmerzpatienten in Österreich. Gerade die aktuelle Situation ist für Betroffene schwierig: "Die Gefahr ist groß, dass Schmerzpatientinnen und -patienten in dieser Ausnahmesituation weniger Gehör und Hilfe finden. Es gilt zu bedenken, dass nicht die Therapie, sondern unbehandelte Schmerzen das Immunsystem schwächen und damit ein Risiko darstellen", so die Anästhesistin Stromer. Eine Unterbrechung der Therapie wäre fatal, sie würde zu einem höheren Schmerzniveau und einer dauerhaft erhöhten Behandlungsbedürftigkeit führen. Kreativität ist gefragt, beispielsweise indem Trainingsmodule ins Freie verlegt werden. Viele Übungseinheiten können auch zu Hause ausgeführt werden. An Bedeutung gewinnen in diesem Zusammenhang auch telemedizinische Maßnahmen.

Veränderung der Wahrnehmung

Da die Ursachen sehr unterschiedlich sein können, sind auch individuelle Therapien nötig. Und gerade weil mehrere Ebenen des Körpers betroffen sind, ist ein interdisziplinärer Zugang notwendig. Das bedeutet, dass unter anderem auch die Psyche in die Behandlung einbezogen wird. Entspannungsübungen sollen die Fokussierung auf den Schmerz unterbrechen und eine Besinnung auf sich selbst ermöglichen. Ein Achtsamkeitstraining soll Bewusstsein dafür schaffen, dass Patientinnen den Schmerz durch ihre Gedanken beeinflussen können.

Cannabinoide als (bei uns) umstrittene Therapiemethode

Dr. Martin Pinsger leitet ein Schmerzkompetenzzentrum, in dem Patienten multimodale Therapien erhalten. Er wendet als einer der wenigen in Österreich Cannabinoide zur Behandlung von chronischen Schmerzen an. "Dass Cannabinoide nicht breit anerkannt sind, ist genauso unverständlich für mich, wie dass chronische Schmerzen keine Krankheit sind", sagt der Orthopäde Pinsger. Anwendung finden Cannabinoide vor allem bei Begleiterscheinungen von chronischen Schmerzen wie Appetitlosigkeit, Schlafstörungen, Niedergeschlagenheit und Angst.

Wunderwaffe gesunder Lebensstil

Die Behandlungen von unspezifischen und spezifischen Rückenschmerzen (Bandscheibenvorfall, Rückenmarksstenose, .) sind unterschiedlich. Bewegung steht in beiden Fällen an erster Stelle. Der Physiotherapeut Roman Pallesits weiß, was es dabei zu beachten gilt, da er dutzende Programme gegen diverse Schmerzzustände entwickelt hat. Sein Credo: "Use it or loose it. In den meisten Fällen sind unspezifische Rückenschmerzen Folge von Bewegungsmangel. Und das Wichtigste: Mit einem abgestimmten Training kann man das Auftreten dieser Beschwerden sogar verhindern."
Denn durch regelmäßige Bewegung werden entzündungshemmende Substanzen ausgeschüttet. Auch die Ernährung sollte in die Therapie einfließen, da sie wesentlichen Einfluss auf chronische Schmerzen hat. Durch Fasten können Entzündungsreaktionen gebremst, der Blutdruck gesenkt und der Stoffwechsel in Richtung Energiegewinnung gelenkt werden.

Moderation: Univ.-Prof. Dr. Manfred Götz
Sendungsvorbereitung: Lydia Sprinzl, MA
Redaktion: Dr. Christoph Leprich

Reden auch Sie mit! Wir sind gespannt auf Ihre Fragen und Anregungen. Unsere Nummer: 0800/22 69 79, kostenlos aus ganz Österreich.

Haben Sie Rückenschmerzen?
Wie lange hat es gedauert, bis Sie eine zutreffende Diagnose erhalten haben?
Waren Sie in physiotherapeutischer Behandlung?
Nehmen Sie regelmäßig Schmerzmittel ein?
Machen Sie Entspannungsübungen?

Service

Studiogast im Funkhaus Wien:

Dr. Martin Pinsger
Facharzt für Orthopädie, Schmerztherapie
Schmerzkompetenzzentrum Bad Vöslau
Badner Straße 8
2540 Bad Vöslau
Tel.: 02252/769 480
E-Mail
Homepage

Am Telefon:

OÄ Dr.in Waltraud Stromer
Fachärztin für Anästhesie und allgemeine Intensivmedizin
Landesklinikum Horn und Moorheilbad Harbach
Vizepräsidentin der Österreichischen Schmerzgesellschaft
Ing. Karl Prokschgasse 11
3580 Horn
Tel.: 0664/506 85 09
E-Mail
Homepage

Roman Pallesits
Physiotherapeut
Mexikoplatz 24
1020 Wien
Tel.: 0664/30 74 813
E-Mail
Homepage

Weitere Anlaufstellen und Info-Links:

Österreichische Schmerzgesellschaft
Schmerzverband
Patientendialog, Informationsbroschüren, Podcasts & Videos zum Thema Schmerzen
Aktion Interaktive Online-Sprechstunde zum Thema Rückenschmerzen im Zuge der Österreichischen Schmerzwochen 2021
Schmerzeinrichtungen
Flyer: "Rückenschmerzen: Was bei hartnäckigen Beschwerden hilft"
Ambulante Wirbelsäulenrehabilitation
"Spine-Line": Telefonische Beratung bei Rückenschmerzen
Die SpineLine ist Montag bis Freitag, von 09 00 bis 10 00 Uhr unter 01/801 82 3456 erreichbar.
Leitlinien Kreuzschmerz
Qualitätsstandard unspezifischer Rückenschmerz
Minimed-Studium: Cannabis als Medizin: 12 Fragen

Bücher:

Dr. Martin Pinsger & Dr. Thomas Hartl, "Krankheit Schmerz. Endlich Hilfe für Patienten!",
Ennsthaler Verlag (erscheint am 18.2.2021)

Dr. Martin Pinsger & Dr. Thomas Hartl, "Dem Schmerz entkommen. So hilft Ihnen die Cannabis-Therapie", Goldmann Verlag 2019

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