APA/HELMUT FOHRINGER
Medizin und Gesundheit
Wohin mit der Wut?
Strategien zum Abbau von Aggressionen
11. März 2021, 16:05
Alle sprechen derzeit über die Wut aufgrund der Einschränkungen durch die Pandemie. Wenn die Skilifte in Betrieb sind, freut das die einen; die anderen schäumen vor Zorn. Neid, Hilflosigkeit, Ärger über nicht nachvollziehbare Beschränkungen und Ängste prägen seit Monaten das Klima in der Gesellschaft.
Aggressionspegel steigt
Es ist an allen Ecken und Enden wahrnehmbar - der Aggressionspegel nimmt ein Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie weiter zu. Die Frauenhäuser verzeichnen mehr Aufnahmen, die Scheidungsrate steigt und auch in der Kinder- und Jugendpsychiatrie herrscht großer Andrang, es fehlt an stationären Aufnahmemöglichkeiten.
Wut und Aggression als Ventile von Angst
"Wut und Aggression sind nicht per se schlecht, es kommt auf das Ausmaß an und wie zerstörerisch diese Emotionen sind", sagt Gudrun Treibenreif, stellvertretende Vorsitzende der Österreichischen Gesellschaft für körperbezogene Psychotherapie und bioenergetische Analyse. Diese Emotionen seien sogar wichtige Ventile - und Reaktionen auf die Angst vieler Menschen. Angst vor dem Jobverlust, der Einsamkeit, dem Gefühl, die Situation nicht länger ertragen zu können.
Auch immer mehr Kinder und Jugendliche in psychiatrischer Akutaufnahme
Die Angst und die damit gepaarte Überforderung würden sich häufig in Wut und Aggression ausdrücken, die sich gegen andere, aber auch gegen einen selbst richten kann, bekräftigt auch Kathrin Sevecke, Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. "Corona belastet unsere Kinder und Jugendliche seelisch außerordentlich stark und macht sie psychisch krank", sagt die Primaria der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Landeskrankenhaus Hall. In der Akutaufnahme gäbe es eine erhöhte Zahl von Kindern und Jugendlichen mit massiven Essstörungen sowie mit Anzeichen von starken Abhängigkeiten. Auch Selbstverletzungen und Suizidabsichten hätten zugenommen.
Bewältigungsstrategien aufzeigen
Wut hat einen positiven, einen biologischen Grund, erinnert der Psychotherapeut Christian Bartuska: "Wenn ein Mensch vor einem ,Hindernis' steht, dann hilft die Wut, die nötige Energie zu mobilisieren, um es zu überwinden." Wichtig sei allerdings, Wut und Aggression als Zeichen der Angst und Überforderung rechtzeitig wahrzunehmen und konkret Strategien anzuwenden, um diese Emotionen abzubauen. Christian Bartuska arbeitet - wie Gudrun Treibenreif - mit den Methoden der Körperpsychotherapie. Der Atem bildet die Grundlage seiner Arbeit. Der zweite Schwerpunkt sind Berührungen - ein essenzielles Bedürfnis aller Menschen. Und er empfiehlt einfache Übungen, die zum Beispiel den bewussten Kontakt zum Boden wiederherstellen, eine sichere Verbindung zwischen Boden und Kopf schaffen und so mehr Halt geben und die Gefahr eindämmen, "den Kopf zu verlieren".
Konkrete Hilfestellungen
Wir widmen uns im Rahmen der Sendung also auch konkret Möglichkeiten, diese Emotionen mit den Methoden der Körperarbeit zu bewältigen. Ohne sich dabei selbst oder andere zu schädigen. Denn Wut ist eben auch Kraft. Ob man nun mit einem Tennisschläger auf einen Polster eindrischt oder Sport bis zur Erschöpfung ausübt - wichtig ist, sich selbst zu spüren. Denn jede psychische Erfahrung schafft einen Körpereindruck. Und das ist keine Einbahnstraße. Körperliche Wahrnehmungen können unsere Gefühlswelt positiv beeinflussen.
Moderation: Univ.-Prof. Dr. Markus Hengstschläger
Sendungsvorbereitung: Mag.a Dr.in Maria Harmer
Redaktion: Dr. Christoph Leprich
Reden auch Sie mit! Wir sind gespannt auf Ihre Fragen und Anregungen. Unsere Nummer: 0800/22 69 79, kostenlos aus ganz Österreich.
Sie leben und/oder arbeiten mit Menschen zusammen, die wütend und aggressiv sind?
Sie spüren Wut in sich selbst? Sind aggressiv?
Sie machen sich Sorgen um Ihre Kinder und Enkelkinder? Bemerken, wie sie sich verändert haben?
Kennen Sie Menschen, die ihren Job verloren haben, von Ängsten geplagt sind? Deren Hilf- und Hoffnungslosigkeit in Wut und Aggression kippen könnte?
Haben Sie - unwissentlich - jemanden mit dem Corona-Virus angesteckt und machen sich Vorwürfe?
Haben Sie im vergangenen Jahr einen lieben Menschen verloren und konnten Sie sich nicht in der Form verabschieden, wie es Ihnen gut getan hätte?
Was könnte die Regierung Verantwortungsvolles tun, damit sich Wut und Aggression nicht weiter aufstauen?
Service
Gäste per Telefon zugeschaltet:
Univ.-Prof.in Dr.in Kathrin Sevecke
Primaria der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Landeskrankenhaus Hall
Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (ÖGKJP)
Univ.-Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Kindes- und Jugendalter
Milser Straße 10, Haus Nummer 6
6060 Hall in Tirol
Tel: 050504 33801
Homepage
Mag.a Gudrun Treibenreif
Bioenergetische Analytikerin
Stellv. Vorsitzende der Österr. Gesellschaft für körperbezogene Psychotherapie
Scharitzerstraße 1a/1
4020 Linz
Tel: +43 699 1813 6931
E-Mail
Homepage
Christian Bartuska
Psychotherapeut dynamische Gruppenpsychotherapie, Lebensberater
Fort- und Weiterbildung in Körperpsychotherapie
Haizingergasse 43/3
1180 Wien
Tel.: 01/470 24 43
Homepage
Weitere Anlaufstellen und Info-Links:
Österreichische wissenschaftliche Vereinigung für körperorientierte Psychotherapie
Corona-Hilfestellungen der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Landeskrankenhaus Innsbruck und Hall
Instahelp - Psychologen zum Thema Gewalt und Aggression in Österreich
NEUSTART - Bewährungshilfe, Konfliktregelung, Soziale Arbeit
samara - Verein zur Prävention von sexualisierter Gewalt
Publikation über Aggression, Hg. Universität Heidelberg
Ulrike Rodlmayr: "Aggressions- und Gewaltentstehung bei Kindern und Jugendlichen unter besonderer Berücksichtigung erzieherischer Verhaltensweisen in Familie und Schule"
Buch-Tipps:
Joachim Bauer, "Schmerzgrenze. Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt", Heyne Verlag 2013
Thomas Scheskat, "Aggression als Ressource. Eine verkannte Kraft neu erleben", psychosozial verlag 2020
Pechtl, C. und Schwenk, R. (Hg.), "Körper im Dialog - Theorie und Anwendungsfelder der Bioenergetischen Analyse", Psychosozial Verlag 2019
Otto Kernberg, "Hass, Wut, Gewalt und Narzissmus", Kohlhammer Verlag 2012
Annette Auch-Schwelk, "Wut und Ärger: Gut umgehen mit starken Gefühlen", Haufe 2018
Bücher speziell für Kinder:
Nanna Neßhöver und Eleanor Sommer, "Wenn ich wütend bin: Zum Mitmachen und Wut abbauen", Carlsen 2019
Julia Dudenko, "Mein Wut-Kritzelbuch: Für weniger Wut im Bauch", Pattloch 2015