Manfred Scheuer über das Erinnern

30. März 2021, 06:56

In Erinnerungen zu schwelgen ist etwas Schönes. Es gibt aber auch Dinge, an die will man sich ganz und gar nicht mehr erinnern. Dinge, für die man sich schämt, die man gerne ungeschehen machen möchte. Das gilt auch für das Geschehen der Karwoche. Etwa die Erinnerung an Petrus, der Jesus verleugnet. Oder an die Demütigung und Verhöhnung Jesu - lenken sie doch den Blick auf die Demütigungen und Verhöhnungen hier und heute. Unangenehme Erinnerungen sind dennoch wichtig: Sie sind oft der Schlüssel, um längst notwendige Veränderungen im Denken und Handeln endlich anzugehen.

Unangenehme Erinnerungen werden durch das süße Gift des Vergessens bewusst oder unbewusst gern gestrichen. Neu anfangen können, nicht belastet vom Bisherigen, diesen Wunsch gibt es. Wir können doch nicht ständig alte Sachen aufwärmen, einmal muss doch das Ganze verjährt sein - das hört man zum Beispiel in Bezug auf das Gedenken bei den alljährlichen Befreiungsfeiern in Mauthausen und bei ähnlichen Gelegenheiten.

Und doch: Das Vergessen ist der Marsch in die Unmenschlichkeit, weil es das Leiden der anderen ausblendet. Die Spuren der Erinnerung an die Dinge und in den Gesichtern sind ja immer auch die des Leidens. Es ist nicht leicht, eine Kultur der Erinnerung gut zu leben. Wie geht denn das ohne Funktionalisierung der Opfer für heutige Grabenkämpfe, ohne Kälte der historischen Statistik, ohne ins Museale abzugleiten? Wie ,geht' Erinnerung ohne Vergleiche, ohne Gesichter und Namen ins Allgemeine zu walzen? Und dennoch: "Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung", so der jüdische Philosoph Franz Rosenzweig.

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• Alexandra Mantler