Marin Alsop

AFP/ANTHONY WALLACE

Zeit-Ton

Lockdownsessions mit dem ORF-Radiosymphonieorchester

Neue Einspielungen mit Musik von Ying Wang, Sarah Nemtsov und Anestis Logothetis

Das ORF Radio-Symphonieorchester Wien hat in den vergangenen Monaten unter dem Hashtag "Lockdownsessions" zahlreiche neue Werke - großteils mit seiner Chefdirigentin Marin Alsop - einstudiert und aufgenommen. Pandemiebedingt konnten diese Kompositionen bisher nicht vor Publikum gespielt werden, ein Grund mehr, sie den Ö1 Hörer/innen im Radio zu präsentieren.

Die chinesische Komponistin Ying Wang kam 2003 aus Shanghai zunächst zum Studium nach Köln und schließlich nach Berlin. Sie komponiert für unterschiedliche Besetzungen, und verbindet in ihrer Musik die Kultur ihres Herkunftslandes China mit ihrer neuen Heimat in Europa. In ihren Werken beschäftigt sie sich zumeist mit aktuellen globalen Themen wie der Zerstörung der Ökosysteme, sozialen Missständen, der Auswirkung von technologischen Entwicklungen, aber auch regional besonders relevanten wie politischer Verfolgung und Meinungsfreiheit. Und trotzdem ist das kürzlich vom RSO eingespielte Stück kraftvoll und keineswegs deprimierend: In "Unermüdlich strömend, nahezu transparent" (2013) beschreibt die Komponistin Ying Wang das ewige Fließen des Flusses Havel. Tropfen, Blasen und andere Naturphänomene sind in der figurativen Gestaltung des 15-minütigen Stücks hörbar.

In ihrem Werk "scattered ways" (2015) bricht die deutsche Komponistin Sarah Nemtsov die Orchester-Hierarchie auf mehreren Ebenen auf und geht der Frage nach Individuum und Kollektiv, Selbstbestimmtheit und Freiheit nach. Dem Dirigenten Johannes Kalitzke kommen neben der Leitung des Orchesters weitere Aufgaben zu, so muss er gleichzeitig einen Mini-Synthesizer und ein Toy Piano spielen. Die Kommunikation mit den Musikerinnen und Musikern funktioniert in beide Richtungen, denn auch sie geben Zeichen und Impulse - ganz im Sinne eines kollektiven Dirigats.

Am 27. Oktober 2021 jährt sich der Geburtstag von Anestis Logothetis zum 100. Mal. Bereits im Frühjahr hat das RSO seine grafisch notierte Ballettmusik "Odyssee" (1963) aufgenommen. Geboren in Bulgarien, studierte Logothetis ab 1945 in Wien und blieb. Er entwickelte ab Ende der 1950er Jahre, von Zwölftontechnik und seriellen Techniken ausgehend, eine eigene Systematik für grafische Notation, die es möglich machte, Klangcharaktere und Geräusche improvisatorisch produzierbar zu machen. Seine grafischen Notationen sind von seinem charakteristischen Stil mit ins Dreidimensionale gehenden dynamischen Formen, Strichexplosionen und vogelschwarmartigen Punktanhäufungen geprägt. Die Spielerinnen und Spieler erlangen durch ihre Interpretation Mitautorenschaft an dem jeweiligen Stück.

Drei ganz unterschiedliche Positionen aus den vergangenen 60 Jahren zeigen auf, wie vielfältig Orchesterliteratur sein kann, mit Marin Alsop am Pult bei der Komposition von Ying Wang, sowie Johannes Kalitzke bei Sarah Nemtsov und Anestis Logothetis.

Gestaltung: Marie-Therese Rudolph

Sendereihe

Gestaltung

  • Marie-Therese Rudolph

Playlist

Komponist/Komponistin: Sarah Nemtsov
Titel: "scattered ways" für Orchester (2015) (Ausschnitt)
Orchester: ORF-Radiosymphonieorchester Wien
Leitung: Johannes Kalitzke
Länge: 00:34 min
Label: Ricordi / LM

Komponist/Komponistin: Sarah Nemtsov
Titel: "scattered ways" für Orchester (2015)
Orchester: ORF-Radiosymphonieorchester Wien
Leitung: Johannes Kalitzke
Länge: 12:58 min
Label: Ricordi / LM

Komponist/Komponistin: Ying Wang
Titel: Unermüdlich strömend, nahezu transparent / for Symphony Orchestra (2013)
Orchester: ORF-Radiosymphonieorchester Wien
Leitung: Marin Alsop
Länge: 16:27 min
Label: Eigenverlag / LM

Komponist/Komponistin: Anestis Logothetis
Titel: Odysee (Ballett) (1963) (Ausschnitt)
Orchester: ORF-Radiosymphonieorchester Wien
Leitung: Johannes Kalitzke
Länge: 15:43 min
Label: UE / LM

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