Menschen vor glühender Sonne

APA/HARALD SCHNEIDER

Gedanken für den Tag

Susanne Heine über Carl Gustav Jung

"Gott in mir". Anlässlich dessen 60. Todestages blickt die evangelische Theologin und Professorin für Religionspsychologie der Universität Wien, Susanne Heine, auf die herausfordernde Gedankenwelt C. G. Jungs

Hinter jeder Psychologie steckt ein Menschenbild, und C. G. Jung hat mit seinem naturphilosophischen Blick einen nach wie vor aktuellen Aspekt entdeckt: Die Natur als aktive Energie, die hervorbringt, aber auch in den Tod führt. Keine angestrengte Vernunft mehr, um sich vor Gefahren zu schützen, kein Leben mehr um jeden Preis, sondern aus dem Gefühl heraus, in ein größeres Ganzes eingebettet zu sein - loslassen, Leid und Schicksal ertragen. Die grausame Natur verliert ihren Schrecken, wenn man nicht mehr dagegen ankämpfen muss, sagt Jung und nennt diese gelassene Haltung Weisheit.

Überhaupt nicht gelassen wettert Jung gegen die gängige Dominanz des Bewusstseins und nennt die Vernunft eine Summe von "Kurzsichtigkeiten"; er poltert gegen den Machbarkeitswahn und gegen ein autonomes Ich, das alles planen und verantworten will.

Der verkopften Einseitigkeit der "modernen" Welt stellt er die selbsttätige Natur gegenüber, die ein eigenständiges Bewusstsein im Selbst aufgehen lässt, die Selbstverwirklichung. Würde sich Jung gegen das Corona-Virus impfen lassen? Unwahrscheinlich. Jung antwortet auf eine Einseitigkeit mit einer anderen Einseitigkeit - nicht sehr ganzheitlich.

Manche sehen in Jung einen Mystiker, weil hinter seinem Menschenbild eine Spiritualität der Innerlichkeit steht, allerdings keine christliche. Er wendet sich auch ausdrücklich an die "vielen, für die das Licht erloschen, das Mysterium versunken, und Gott tot ist". An die Stelle einer seelenlosen Religion setzt er eine religiöse Seelennatur. Niemand muss dem folgen, aber ich sehe in der Psychologie von Carl Gustav Jung das Potenzial, Theologie und Kirchen herauszufordern: Wäre es nicht möglich, die biblische Überlieferung so zu entschlüsseln, dass das Rätsel Mensch mit der Neigung zum Guten wie zum Bösen sich selbst durchschaut und einen Sinn im Leben findet?

Service

Das C.G. Jung Lesebuch, 5. Auflage, Walter Verlag, 1998.
Aniela Jaffé: Erinnerungen, Träume und Gedanken von C.G. Jung, 11. Auflage, Walter Verlag, 1999.
Susanne Heine: Grundlagen der Religionspsychologie, Kapitel 8: C.G. Jung - die göttliche Natur, UTB 2528, Verlag Vandenhoeck&Ruprecht, 2005.


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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Wolfgang Amadeus Mozart/1756 - 1791
Titel: Quartett für Flöte, Violine, Viola und Violoncello Nr.4 in A-Dur KV 298
* Andante - 1.Satz (00:06:00)
Flötenquartett
Ausführende: The Nash Ensemble of London
Leitung: Amelia Freedman
Ausführender/Ausführende: Philippa Davies /Flöte
Ausführender/Ausführende: Marcia Crayford /Violine
Ausführender/Ausführende: Roger Chase /Viola
Ausführender/Ausführende: Christopher van Kampen /Violoncello
Länge: 06:00 min
Label: Virgin 259592 231

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