Feuchtfröhliches von Herbert Maurer

1. Juli 2021, 06:56

Guten Morgen! Wer sich bei Sonnenaufgang in den Spiegel schaut, den können leicht Zweifel überkommen, vor allem bei halb geschlossenen Augen und einem müden, sozusagen unfrisierten Hirn zwischen den Ohren.

Was ist Schönheit? Gibt es die überhaupt und wenn, dann wozu? Wer keine Antwort auf diese Frage hat, der hat immerhin das Wasser. Wer zwischen seinen beiden Händen das Gesicht schwimmen lässt, der braucht keinen Spiegel, der ja nur so tut, als wäre er eine Wasseroberfläche.

Wer ist schöner - mein Spiegelbild oder ich, frei nach Nestroy gefragt? Immerhin, dem Wasser sei Dank, lässt sich so einiges abwaschen, zum Aufwachen, Aufstehen, Auferstehen, aber auch auf der Suche nach Schönheit. Ungeschminkt ist nicht nur die Wahrheit, wenigstens in der Früh, ungeschminkt, abgeschminkt, ist eben auch das eigene Spiegelbild, das wir dann tagsüber mit uns herumtragen. Die Durchsichtigkeit des Wassers, in dem wir uns und unser Gesicht schwimmen lassen, hilft uns dabei, dass wir auch für uns selbst ein wenig durchsichtig werden und nicht alles mit teuren Farben zudecken.

Wenn das Eintauchen ins Wasser - so wie bei der Taufe - so etwas ist wie eine zweite Geburt, dann haben wir unser Gefühl für die eigene Schönheit den Geschichten zu verdanken, die uns seit der Kindheit vom Wasser erzählt haben: Der Spiegel als Wasser-Spiegel, ruhig, aber wahrhaftig, das kühle Nass, das den Angstschweiß der Träume oder des Alltags wegwäscht, die Verbindung zu ganz anderen Welten, denn das Hochquellwasser in Wien kommt von weit her, das Stillen des Durstes, denn auch die Haut hat Durst, das Eintauchen in eine neue Sichtbarkeit und dann das Auftauchen - alles darf ungeschminkt sein und schön. Guten Morgen!

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Sendereihe

• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler