Martin Lintner über Mensch und Tier

28. September 2021, 06:56

"Die Schlange aber war listiger als alle Tiere des Feldes, die Gott, der Herr gemacht hatte", so beginnt das dritte Kapitel des biblischen Buches der Genesis.
Warum eigentlich? Ist die Schlange wirklich listig und verschlagen? Und sind Füchse schlau, Elstern diebisch, Wölfe böse oder Adler stolz?

Diese Liste von Eigenschaften, die wir Tieren zuschreiben, ließe sich lange fortsetzen. Denken wir an die oft witzigen Tierfabeln oder Märchen. Nicht erst die Gebrüder Grimm haben sie erzählt. Bereits in der Antike waren sie eine beliebte und unterhaltsame literarische Gattung. Tierfabeln zeigen, dass die Menschen immer schon die Tiere und ihre Verhaltensweisen beobachtet und versucht haben, sie zu verstehen. Warum verhält sich ein Tier so und nicht anders? Heute würden wir fragen: Handelt es nicht nur instinktgeleitet, sondern auch intentional?

Tiere eignen sich aber auch gut als Projektionsfläche für menschliche Charaktereigenschaften. Tierfabeln sagen uns daher oft mehr über uns selbst als über die Tiere und haben eine pädagogische Funktion. Zum Beispiel folgende Fabel von Äsop, einem griechischen Dichter aus dem 6. Jahrhundert vor Christus:

Auf einem sehr steilen Felsen erblickte ein Löwe eine Ziege. "Komm doch", rief er ihr zu, "auf diese schöne fette Wiese herunter, wo du die trefflichsten Gräser und Kräuter findest, während du dort oben darbest." "Ich danke dir schön für dein Anerbieten", sprach die kluge Ziege, die wohl die Absicht des listigen Löwen erkannte. "Dir liegt mehr an meinem Fleisch als an meinem Hunger. Hier oben bin ich vor dir sicher, während du mich dort unten sofort verschlingen würdest."
Und die Moral von der Geschicht'? Weder dass Ziegen klug noch, dass Löwen listig sind, sondern: Trau, schau, wem!

Service

Kostenfreie Podcasts:
Gedanken für den Tag - XML
Gedanken für den Tag - iTunes

Sendereihe

• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler