Johanna Schwanberg

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Gedanken für den Tag

Johanna Schwanberg über den Blick der Kunst auf Arm und Reich

"Armut und Reichtum in der Kunst". Johanna Schwanberg, Direktorin des Dom Museum Wien, spürt der Frage nach, welche Rolle die Kunst bei der Bekämpfung von Ungleichheit hat

Dunkelheit, Schnee. Im Hintergrund ein stattliches Gebäude, im Vordergrund ein von der Seite gezeigter kleiner Bub. Er trägt einen Hut und einen braunen Mantel. Vor ihm steht eine Butte, darauf sind Brezeln gestapelt. Neben ihm ein schwarzer, räudiger - aber offensichtlich treuer - Hund. Peter Fendis Ölgemälde aus dem Jahr 1828 mit dem Titel "Der frierende Brezelbub vor der Dominikanerbastei" aus dem Wien Museum Wien gilt als Inbegriff biedermeierlicher Genremalerei. Es ist ein Bild, das durch die sichtbare Armut des zur Arbeit verurteilten Kindes, durch seine Einsamkeit und die Kälte die Betrachter zur inneren Rührung bringen soll.

Rührung hin oder her, mich interessiert dieses Biedermeierbild, und ich freue mich, dass wir es in unserer Ausstellung "arm & reich" zu Gast haben. Nicht nur, weil es durch die Spannung zwischen kalten graublauen und warmen bräunlichen Farben ungemein sinnlich gemalt ist, sondern weil es Kindheit nicht ? wie sonst so oft in der Kunst ? als ideale Daseinsform darstellt. Vielmehr weist es auf reale Zustände hin und zeigt Armut, materielle Not und die Ausbeutung von Kindern, freilich ohne die dahinterliegenden Ursachen aufzudecken.

Fendis Gemälde entstand in jenen Jahren, in denen Arbeitslosigkeit und Massenarmut in Wien nicht mehr zu übersehen waren und erstmals auch öffentlich als Problem zugegeben werden mussten. Auch heute zählt die Bekämpfung von Kinderarbeit und Kinderarmut zu den größten Aufgaben unserer Zeit. Denn laut UNICEF ist die Zahl der Kinder, die weltweit in multidimensionaler Armut leben, durch die Corona-Pandemie noch um 15 Prozent gestiegen und umfasst laut Schätzungen rund 1,2 Milliarden Betroffene.

Ich erinnere mich noch gut, als ich vor einigen Jahren mit meinen heute mittlerweile fast erwachsenen Kindern bei einem vorweihnachtlichen Museumsbesuch vor Fendis "Brezelbub" stand. Damals waren sie - selbst wohlbehütet - beunruhigt angesichts der tristen Situation des kleinen Brezel-Verkäufers. Das Bild führte zu vielen Fragen: Es ließ uns über die Armut von Kindern, über die andere Auffassung von Kindheit in unterschiedlichen Epochen und über die ungleiche Verteilung von Ressourcen auf der Welt sprechen. Wenn es Kunst in einer derart subtilen ästhetischen Übersetzung gelingt, Kinder wie Erwachsene zu Reflexionen über zentrale Themen unseres Daseins zu motivieren, dann erübrigt sich jegliche Frage nach ihrer gesellschaftspolitischen Relevanz.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Peter N. Gruber/geb.1956
Bearbeiter/Bearbeiterin: Denovaire /Arrangement, Pseudonym von Timo Kaufmann/geb.1978
Bearbeiter/Bearbeiterin: Igmar Jenner /Arrangement/geb.1980
Album: PETER N. GRUBER: EIN FERNER GARTEN - MUSIK FÜR STREICHQUARTETT
Titel: Vienna Spring - für Streichquartett (tw. unterlegt)
Ausführende: Frozen Fritz 4
Ausführender/Ausführende: Igmar Jenner /Violine
Ausführender/Ausführende: Andreas Semlitsch /Violine
Ausführender/Ausführende: Simon Schellnegger /Viola
Ausführender/Ausführende: Sophie Abraham /Violoncello
Länge: 01:47 min
Label: Gramola 98940

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