Michael Chalupka

Michael Chalupka - APA/ROLAND SCHLAGER

Zwischenruf

Michael Chalupka über den Reformationstag

Von Michael Chalupka, Bischof der evangelischen Kirche AB in Österreich

Heute am Reformationstag wird Angela Merkel wohl keinen Gottesdienst mitfeiern können, nimmt sie doch das letzte Mal am G20 Gipfel teil. Einen Reformationsgottesdienst zu besuchen, wäre ihr nicht fremd. 2014 ist sie selbst am Tag der Reformation in der Maria-Magdalenen-Kirche in Templin auf der Kanzel gestanden. Dort ist sie auch konfirmiert worden und als Pfarrerstochter aufgewachsen.

Das Pfarrhaus ihres Vaters in der DDR sei immer ein offenes Haus gewesen, dort trafen sich Menschen ganz unterschiedlicher Gedankenrichtungen, hat sie einmal im Gespräch mit Günter Gaus erzählt.

"Angela Merkel-Die Protestantin", so der Titel eines Buches von Volker Resing, hat aber ihren Glauben nie vor sich hergetragen. Lange Zeit hatte man ihre Vertrautheit mit der christlichen Tradition nur an der Textsicherheit beim Schmettern von "Macht hoch die Tür, die Tor macht weit" bemerkt. Mit Präsident Obama verband sie neben einer Freundschaft auch der Glaube. Mit ihm gemeinsam hat sie vor dem Altar der Frauenkirche in Dresden gebetet. Es durfte aber keine Fotos davon geben. Glaube ist für Angela Merkel eine intime und private Angelegenheit.

Bei ihrem Amtsantritt als Kanzlerin erzählte sie, dass sie fast jeden Tag bete, es aber unredlich finde, sich wegen politischer Ziele an ihren Gott zu wenden.

"Ich bin in einer Familie groß geworden, in der das Christliche nicht nur den Lebensort, sondern auch die Lebenseinstellung prägte", sagt Merkel. Und doch wäre es aus meiner Sicht falsch, die Politik, die Angela Merkel gemacht hat, als christliche Politik zu bezeichnen. Auch wenn so mancher ihre Entscheidung, die Grenze vor den Flüchtlingen nicht zu schließen und damit Ungarn und Österreich nicht alleine zu lassen, auf ihre christliche Erziehung zurückgeführt hat.

Angela Merkel hat einfach Politik gemacht. Hat Dinge verschleppt und ausgesessen, hat Erwartungen erfüllt und auch -- so wie etwa in der Umweltpolitik -- enttäuscht. War in manchem weitsichtig und hat manche Entwicklung nicht auf dem Schirm gehabt.

Sie hielt Glaube und Politik auseinander. Angela Merkel war als Politikerin keine Freundin der großen Inszenierung. Sie war nüchtern. Manche haben ihr vorgeworfen, langweilig zu sein. Aber sie war eine der wenigen politischen Leaderinnen, die Prinzipien über Eigeninteresse gestellt hat. So hat sie Barack Obama in einem Video-Gruß zum Ende ihrer Kanzlerschaft beschrieben.

Am Anfang ihres politischen Wirkens hat sie selbst im Gespräch mit Günter Gaus gesagt, sie hoffe, die Grenze, bei der sie ihre Überzeugungen und Prinzipien verleugnen müsste, nicht allzu oft überschreiten zu müssen. Sie war sich der eigenen Fehlbarkeit bewusst. Es entlaste sie, dass der Mensch "sündigen darf und ihm dies vergeben wird."

In einem Gespräch mit dem Journalisten Hugo Müller-Vogg formulierte sie das so: "Die Perspektive, dass es Gott gibt, vermittelt mir ein hohes Maß an Demut. Eine Demut, mit der ich sehr gut leben kann: sich nicht nur im Zentrum sehen, andere gelten lassen, sich bewusst sein, dass man Fehler hat und Fehler macht." Da hört man Martin Luthers "pecca fortiter", "sündige tapfer" durch, wie sie es in ihrer Jugend in der Christenlehre gelernt hatte.

Im nächsten Jahr dann wird Angela Merkel wieder Zeit haben, den Reformationsgottesdienst zu besuchen.

Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Johann Sebastian Bach
Bearbeiter/Bearbeiterin: David Riniker
Album: ANGEL DANCES
Titel: Jesus bleibet meine Freude - Choral / Nr.10 aus der Kantate "Herz und Mund und Tat und Leben" BWV 147 / Bearbeitung für 12 Violoncelli
Ausführende: Die 12 Cellisten der Berliner Philharmoniker
Länge: 03:27 min
Label: EMI Classics 3570302

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