Christine Rod

ORDENSGEMEINSCHAFTEN/MAGDALENA SCHAUER

Zwischenruf

Christine Rod über prophetische Stimmen im Advent

Von Christine Rod, Generalsekretärin der österreichischen Ordenskonferenz

Dass wir in schwierigen Zeiten leben, das weiß jeder. Nein, nicht nur das, noch schlimmer, es ist auch ein Lebensgefühl, das wirkmächtig und manchmal auch lähmend ist. Ich möchte die Probleme unserer Gegenwart keineswegs kleinreden. Aber was mich wirklich tröstet, das ist, dass es im Lauf der Geschichte immer wieder derart unübersichtliche Zeiten gegeben hat, voller Umbrüche und Irritationen. Gerade in unbequemen und mühsamen Zeiten schälen sich neue Perspektiven heraus und wird deutlich, was trägt.

Kirchlich gesehen werden in diesen Wochen des Advents die Texte der so genannten Propheten gelesen. Natürlich kann man die Zeiten der alttestamentlichen Propheten nicht mit dem 21. Jahrhundert vergleichen. Aber vielleicht ja doch - irgendwie?

Propheten sind keine Hellseher und keine einsamen Helden. Nein, "Propheten" sind von der Wortbedeutung her "Sehende". Es sind Menschen, die Zusammenhänge entdecken, die vorausschauen, die Auswirkungen abschätzen können, die hellsichtig sind für Entwicklungen. Es sind kluge Leute, die nicht nur Schönes, sondern auch Schwieriges erkennen und zur Sprache bringen - und die sich damit ziemlich unbeliebt machen.

Aber es sind auch Menschen, die nicht nur im eigenen Namen unterwegs sind, sondern die sich für eine größere Sache einsetzen, man könnte sagen: für eine bessere Welt. Sie verwenden aufrüttelnde Worte, aber sie verkünden auch das, was die Bibel "Verheißung" nennt: dass nicht alles dem Untergang entgegengeht, sondern dass es auch anders sein kann: schöner, freier, gerechter, sinnvoller - mehr als wir uns jemals auszudenken vermögen.

In diesem Advent lese ich nicht nur die mehr als zweitausend Jahre alten Prophetenworte und staune darüber, wie aktuell sie immer sind. Ich denke in diesem Advent auch an den Jesuiten Alfred Delp, der zu Jahresbeginn 1945 sein Leben lassen musste, weil er nicht daran geglaubt hat, dass das so genannte Tausendjährige Reich Bestand haben kann und weil er und seine Freunde Pläne für eine Regierung nach dem zu erwartenden Zusammenbruch entwickelt haben.

Als er den Advent 1944 im Gefängnis verbringt, begreift er, wie wichtig es ist, gemeinsam mit anderen diesen Wahnsinn zu benennen und eine neue Zeit zu erwarten. Sein Lebensgefühl damals beschreibt er so: "Den diesjährigen Advent sehe ich so intensiv und ahnungsvoll wie noch nie. Wenn ich in meiner Zelle auf und ab gehe, drei Schritte hin und drei Schritte her, die Hände in Eisen, vor mir das ungewisse Schicksal, dann verstehe ich ganz anders als sonst die alten Verheißungen vom kommenden Herrn."

Ich komme zurück zum Anfang. Wir leben Gott sei Dank nicht im nationalsozialistischen Regime. Aber wir haben genug andere Umbrüche und Bedrohungen zu bewältigen: die Erderwärmung, die Pandemie.

Ich möchte von den biblischen Propheten und auch von Alfred Delp lernen, die Gegenwart ernst zu nehmen. Und ich möchte von ihnen auch lernen, weiter zu sehen; dass die gegenwärtige Situation noch nicht das letzte Wort hat, dass es noch etwas anderes gibt - größer, schöner und verheißungsvoller als ich es mir ausdenken oder es machen kann. Und ich möchte sehend werden für Weggefährten und Hoffnungsgestalten, die sich auch heute nach einer anderen Zukunft ausstrecken.

Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Johann Sebastian Bach
Bearbeiter/Bearbeiterin: Aurele Nicolet
Titel: Suite für Violoncello Nr.1 in G-Dur BWV 1007 / Bearbeitung für Flöte
* Menuett I & II - 5.Satz (00:03:42)
Solist/Solistin: Aurele Nicolet /Flöte
Länge: 03:44 min
Label: Denon 7383

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