Daniel Wisser (Österreichischer Buchpreis 2018)

APA/HERBERT NEUBAUER

Ö1 Hörspiel

Daniel Wissers Untergangsszenarien

"Die Vitaminlüge". Hörspiel von Daniel Wisser. Mit Chris Pichler, Andrea Clausen, Linde Prelog, Michou Friesz, Klaus Höring, Bastian Wilplinger, Pippa Galli, Sarah Viktoria Frick und Julien Colombet. Musik: Angelica Castello. Ton: Anna Kuncio und Manuel Radinger. Regie: Ursula Scheidle (ORF 2021)

Carla sehnt sich nach der großen Katastrophe, um frei zu werden, frei von Verpflichtungen, Beziehungen und einem immergleichen Alltag, der ihrem Leben einen letzten Rest von Struktur verleiht. Wir folgen Carla durch diesen Alltag, den sie ihrer Therapeutin, Frau Klarfeldt, am Telefon eindringlich schildert und sich im Laufe der Telefongespräche in alptraumhafte Räume und Begegnungen verwandelt. Immer tiefer dringen wir dabei in Carlas eigentliches Drama vor, das sich zwischen ihr und ihrer Mutter, die sie im Altersheim besucht, vor vielen Jahren ereignet hat. Mutter wie Tochter fühlen sich beide schuldig am Tod des Mannes, des Vaters. Doch darüber wurde und wird nicht gesprochen. Die unselige Verbindung, die die kleine Familie aneinanderhält, ist Quelle für Carlas Katastrophensehnsucht und nervösen, phobisch-neurotischen Zustand.

Daniel Wisser hat dieses Hörspiel im Eindruck der Pandemie und der Lockdowns geschrieben. Er hat, wie er sagt, "mit einer gewissen Faszination bemerkt, dass viele Menschen fast begeistert darüber waren, dass soziale Kontakte und Verpflichtungen wegfielen bzw. leicht und ohne Ausrede abzusagen waren. Der heimliche, immer schon gehegte Wunsch, den bisherigen Alltag hinter sich zu lassen, konnte plötzlich frei ausgelebt werden." Also hat sich der Autor "auf die Suche nach den Gründen für die Sehnsucht nach Katastrophen und Untergangsszenarien und die Hintergründe für allzu voreiligen oder haarsträubenden Alarmismus gemacht," denn Wisser glaubt, "dass diese nicht in den äußeren Umständen, sondern in persönlichen Frustrationen zu suchen sind." In seinem Text durchmisst Daniel Wisser den "Imaginationsraum Hörspiel" neu, spielt mit Erzähl- und Zeitebenen sowie mit Außen- und Innenräumen. (Ganz im Sinne des doppelten Imperativs nach Ernst Jandl: Hör!Spiel!)

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