Ein Kreuz vor blauem Himmel

AFP/ARIS MESSINIS

Gedanken für den Tag

Jan-Heiner Tück über: Der Sog des Verrats

Crux - Über die Anstößigkeit des Kreuzes. Gedanken zur Karwoche
von Jan-Heiner Tück, katholischer Theologe

Das Drama der Passion besteht darin, dass sich alle abwenden. Nicht nur die Feinde, auch die Freunde. Alle gegen einen - einer für alle! In den Passionsberichten der Evangelien kündigt Jesus selbst an, dass er für alle zum Ärgernis werde. Erst ist es Judas Iskariot, der offensichtlich eine politische Vorstellung von dem hat, was der Messias leisten soll. Mit den Zeloten, einer jüdischen Widerstandsgruppe, scheint er für eine gewaltsame Befreiung vom Joch der Römer zu sein. Aus Enttäuschung verrät er Jesus - der Überlieferung nach - für dreißig Silberlinge. Dann ist es Petrus, der hoch und heilig verspricht, Jesus auch dann die Treue zu halten, wenn alle anderen an ihm Anstoß nehmen. Aber schon wenig später verleugnet er dreimal seinen Herrn. Der Unmut ist so ansteckend, dass er nicht die Kraft aufbringt zu widerstehen, nicht einmal vor der Magd des Hohenpriesters. Die kollektive Ansteckung lässt Petrus, den "Felsen", kippen. Statt die Verleugnung psychologisch als Versagen zu deuten, ist hier ein negativer Sog am Werk. Selbst der erste unter den Aposteln findet sich unversehens "auf der Seite der Verfolger" wieder.
Bei Pontius Pilatus, der als römischer Statthalter ein Mann der Macht ist, lässt sich ein ähnlicher Umschwung beobachten. Eigentlich ist er von der Unschuld des Nazareners überzeugt und möchte ihn freigeben. So kann man es zumindest in den biblischen Berichten nachlesen. Aber auch er gibt der ansteckenden Dynamik der Skandalisierung nach, als er sieht, dass die aufgebrachte Menge sich nicht beruhigen lässt. Diese will nicht den Nazarener, sondern den Aufrührer Barabbas befreit sehen. Als Pilatus mit dem Ruf "Kreuzige ihn" konfrontiert ist, gibt er nach. Der Hohepriester Kajaphas hat die zynische Logik der Machterhaltung in das Wort gebracht: "Es ist besser, dass ein einziger Mensch für das Volk stirbt."
Doch damit nicht genug. Die schaulustigen Leute, die Hohenpriester und Schriftgelehrten kommen zur Schädelhöhe und höhnen, Jesus solle als Messias und König von Israel doch selbst vom Kreuz herabsteigen. Am Ende stimmen sogar die beiden Schächer in den Chor der Verachtung ein, nur bei Lukas ist es einer der Schächer, der sich bekehrt und dann ins Paradies kommt. Alles in allem, so wird es berichtet, kommen ganz unterschiedliche, ja untereinander verfeindete Gruppen darin überein, dass Jesus an allem schuld sein muss. In der Vereinigung aller gegen einen findet punktuelle Befriedung statt. Einen neuen, anderen Frieden aber schenkt der Gekreuzigte, der Unrecht und Gewalt nicht mit Gegenwalt beantwortet und noch sterbend für seine Peiniger um Vergebung bittet: einer für alle.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Johann Sebastian Bach 1685 - 1750
Bearbeiter/Bearbeiterin: Ton Koopman geb.1944
Album: YO YO MA: SIMPLY BAROQUE II
Titel: Ach bleib bei uns, Herr Jesu Christ - Choral für Orgel BWV 649 (Nr.5 a.d. "Schübler Chorälen" - Sechs Choräle von verschiedener Art) / Bearbeitung für Violoncello und Kammerensemble
Solist/Solistin: Yo Yo Ma
Orchester: The Amsterdam Baroque Orchestra
Leitung: Ton Koopman
Länge: 02:11 min
Label: Sony Classical SK 60681

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