Cornelius Hell über Elfriede Gerstl

17. Juni 2022, 06:56

"Jeder Gläubige reizt meinen Widerspruch", schrieb die Dichterin Elfriede Gerstl, die immer auch eine präzise Denkerin war. Näher als jeder Glaube war ihr das ungläubige Staunen: "manche kommen aus dem staunen nicht heraus / manche nie hinein" - so lautet einer ihrer lakonischen Zweizeiler.

Trotz ihres Widerspruchs will Elfriede Gerstl auch einen Gläubigen, einen religiösen Menschen, nicht demaskieren. Ihr Satz von den Masken, der so freundlich beginnt, nimmt freilich eine unerwartete Wendung: "ich möchte niemandem / die maske vom gesicht reissen / ich will nicht sehen / was darunter alles nicht ist".

Natürlich war Elfriede Gerstl in Wien, wo sie geboren war und ab 1972 nach etlichen Berlin-Aufenthalten bis zu ihrem Tod 2009 wieder lebte, mit einer vom Christentum geprägten Kultur konfrontiert. Ihr Gedicht "mein himmel" entwirft sie gegen die gängigen christlichen Jenseits-Vorstellungen:

mein himmel ist hier und jetzt
mein himmel ist meine vorstellung
von himmel
er ist die freundlichkeit
verlässlichkeit
anteilnahme
bei glücks- und unglücksfällen
mein himmel ist nicht voller geigen
sondern voll solidarität

Wenn Elfriede Gerstl vom Himmel "hier und jetzt" redet, will sie aus den christlichen Vorstellungen vom Himmel das utopische Element retten und daraus Vorstellungen entwickeln gegen wie Welt, wie sie ist. So setzt das Gedicht fort:

mein himmel ist auch eine utopie
von einer gerechteren welt
in der einsicht und nachsicht
tägliche realität sein sollte
himmel ist das festgeknüpfte netz
ähnlich denkender und fühlender
und das glück
ihm anzugehören

wenn es noch einen anderen himmel
geben sollte
lasse ich mich überraschen

Service

Bücher von Elfriede Gerstl, "Werke", "Neue Wiener Mischung. Gedichte und anderes", "Mein papierener Garten. Gedichte und Denkkrümel", "Lebenszeichen. Gedichte, Träume, Denkkrümel", "Spielräume", Literaturverlag Droschl

Sabine Scholl, "Über Elfriede Gerstl", Mandelbaum Verlag
Konstanze Fliedl, Christa Gürtler (Hg.), "Elfriede Gerstl", Literaturverlag Droschl
Christa Gürtler, Martin Wedl, "wer ist denn schon zu hause bei sich", Paul Zsolnay Verlag

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Gestaltung

• Alexandra Mantler