Hubert Gaisbauer über Aristoteles und Philemon und Baukis

29. Juni 2022, 06:56

Philemon und Baukis hatten ein gutes Leben. Die anrührende Geschichte des alten Ehepaars aus Ovids Metamorphosen ist unseren Märchen der Brüder Grimm näher als der strohtrockenen Nikomachischen Ethik des Aristoteles.
Philemon und Baukis ist eine Erzählung über die Gastlichkeit, oder Gastfreundschaft, allerdings ohne das bei Aristoteles dazugehörige Nützlichkeitsdenken.
Ein gutes Leben hatte unser altes Paar, weil es offenbar seiner Zweisamkeit auch nach - na sagen wir - sechzig Ehejahren nicht überdrüssig ist. Sie leben in einer ärmlichen Hütte am Stadtrand, abseits der reichen Bürgerhäuser. Sie machen sich ihr Alter und ihre Armut aber leicht und erträglich "mit heiterem Gleichmut".
So schreibt Ovid.
Heiterer Gleichmut ist also eine wichtige Zutat für ein gutes Leben. Ovid betont, dass sie kein Dienstpersonal hatten, sondern "sie zwei nur machen das Haus, nämlich sie selber - und schön ausgewogen ist zwischen ihnen, wer gehorcht und wer anschafft", schreibt Ovid.
Und selbstverständlich ist es all die Jahre für sie: Fremden die Tür zu öffnen, wann immer einer anklopft. Und da kommen eines Tages gleich zwei - Wanderer offenbar, die Obdach suchen vor einem drohenden Wettersturz und - bei der Bewirtung stellt sich heraus, als der Weinkrug nicht leer wird: die zwei waren Götter.
Jupiter und Merkur, die erkunden wollten, ob es mit dem Leben der Menschen auf der Welt gut oder schlecht bestellt ist. Überall klopften sie an in der Stadt bei den Reichen, geöffnet haben nur die zwei Alten und Armen. Und wir wissen, welchen Wunsch ihnen die Götter erfüllt haben: gemeinsam zu sterben.
Und in zwei Bäume verwandelt sie der Mythos Ovids. Mit den Zweigen der Kronen halten sie einander an Händen. - Um zum guten Leben zu gelangen, so Aristoteles, soll der Mensch nur beständig sein - im Üben der Tugend, die er mit dem Verstand seines Herzens als solche erkannt hat.

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• Alexandra Mantler