Hubert Gaisbauer über Aristoteles und Sappho und die Zustimmung

1. Juli 2022, 06:56

Als vor ungefähr 2600 Jahren die griechische Dichterin Sappho an ihrem Körper spürt, dass sie jetzt wirklich alt wird, schreibt sie in einem Gedicht:
weiß sind die Haare geworden, die schwarzen;
schwer ist die Seele geworden; nicht tragen die Knie mehr,
Darüber seufze ich oft jetzt. Doch was soll ich machen?

Alterslos werden als Mensch, der man ist, das ist ja nicht möglich.
Aus der hoffnungslos scheinenden Resignation rettet sich die Dichterin in eine neue Qualität: sie entdeckt Zustimmung als ein Prinzip Guten Lebens. Jetzt, da jeder Lichtblick zu erlöschen droht, da beschließt sie, sich ihre Sonne selbst zu verschaffen! In einem erst kürzlich als Fragment gefundenen Lied gestattet sich Sappho Zustimmung und Zuversicht:
Ich liebe den Glanz: dies wird jetzt mein Teil im Leben,
strahlend und schön ist mein Los, weil ich die Sonne liebe!

Über Sapphos Leben wissen wir, dass sie eine geliebte Tochter und viel Familiensinn hatte, sich für Mädchenbildung einsetzte und in Folge politischer Wirren für längere Zeit von Mytilene aus Lesbos nach Syrakus flüchten musste. Platon und Aristoteles schätzten sie und nennen sie zwei Jahrhunderte nach ihrem Tod die zehnte Muse.
Für ein Gutes Leben - gerade dann, wenn wir alt sind, braucht es eine neue Zustimmung zur Welt. Dass wir Freund und Freundin zu uns selber sind, uns erreichen und ergreifen lassen - von anderen Menschen, von der Schönheit, vom Schmerz, von der Kunst. Und von Religion. Denn ohne Zustimmung zum Leben kann man nicht glauben, sagt Augustinus von Hippo. Vielleicht gilt der Satz auch umgekehrt.

Wo nicht die Funken von Zustimmung, Bejahung der Welt und Dankbarkeit sind, kann sich niemand wärmen am Feuer des Guten Lebens. Nicht immer sind die Glücklichen die Dankbaren, sagte angeblich der Philosoph Francis Bacon. Es sind aber immer die Dankbaren, die mit Gewissheit glücklich sind.

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Gestaltung

• Alexandra Mantler