Zwischenruf

Rosch ha-Schana

Claudia Prutscher, Vizepräsidentin der israelitischen Kultusgemeinde Wien, erzählt, wie in ihrer Familie das jüdische Neujahrsfest gefeiert wird

Ein jüdisches Jahr ist zu Ende gegangen, ein neues beginnt und wir feiern Rosch ha-Schana - wörtlich übersetzt heißt es "Kopf des Jahres". Es ist laut jüdischer Überlieferung der Jahrestag der Schöpfung von Adam und Eva, der Geburtstag der Menschheit.

Das ist einer der absoluten Höhepunkte des jüdischen Jahreskalenders und in allen Familien kommen die Familienmitglieder zusammen, um gemeinsam zu feiern. Den größten Teil des Tages verbringen wir in der Synagoge, denn im Judentum glauben wir: G'tt will nicht nur eine Welt voller Menschen, er möchte auch zu jedem von uns eine ganz persönliche Beziehung haben. In den Tagen davor haben wir die Möglichkeit, das vergangene Jahr zu überdenken. Wo haben wir uns nicht richtig verhalten, wo gesündigt? Es ist eine Zeit der spirituellen Reinigung und der Vertiefung unserer Beziehung zu G'tt.

Am Nachmittag des 1.Tages von Rosch ha-Schana gehen wir zu einem Fluss und werfen symbolisch unsere Sünden des vergangenen Jahres hinein. Anschließend ist der Klang des Schofars zu hören. Es ist uns sehr wichtig, während der Hohen Feiertage, das sind Rosch ha-Schana und Jom Kippur - der Versöhnungstag - so oft es geht, den Klang des Schofars zu hören, mindestens jedoch einmal! Das ist wie ein Weckruf, der uns auffordert, unsere Verbindung mit G'tt zu erneuern und zu vertiefen, Das Schofar ist das Horn eines Widders und es ist eine Kunst, hier die richtigen Töne erklingen zu lassen.

Nach dem Besuch der Synagoge kommt die Familie zusammen und es beginnt das gemeinsame Abendessen. Ich fühle hierbei immer eine ganz starke Verbundenheit zu meinen Vorfahren, denn es gibt ganz besondere Speisen, die immer zu Rosch ha-Schana gegessen werden - eine ununterbrochene Kette der Tradition seit vielen Jahrhunderten.

Wir tunken Apfel in Honig, symbolisch für den Wunsch, es möge ein süßes neues Jahr werden. Wir essen Granatapfelkerne, damit unsere guten Taten und unsere glücklichen Momente so zahlreich sein mögen, wie die Kerne des Granatapfels. Die Challah, das Weißbrot, das wir jede Woche zu Schabbat essen, hat zu Rosch ha-Schana eine runde Form, denn das Jahr ist nun abgeschlossen. Es gibt Karotten, gekocht mit Honig und gedörrten Früchten, genannt "Zimmes". Honigkuchen wird als Dessert serviert, dazu gibt es exotische Früchte.

Dieses Festmahl ist in meiner Familie durch Kinder unterschiedlichsten Alters sehr vielseitig und lustig und zwischen den Gängen wird gesungen. Abschließend wünschen wir uns alles Gute für das neue Jahr mit den Wünschen, es möge ein Süßes werden! Dieser Wunsch ist umso wichtiger in Zeiten der Krise. Jüdinnen und Juden rund um den Globus sind von ihrer Religion her aufgerufen, die Welt besser zu machen, sich für das Gemeinwohl einzusetzen. Das kann durch soziales Engagement geschehen, durch Wissenschaft und Forschung oder auf andere Weise.

Es ist aus jüdischer Sicht nicht richtig, die Hände in den Schoß zu legen und dann darauf zu warten, dass G'tt die Dinge schon wieder ins Lot bringen wird. Vielmehr gilt es, dass die Menschen ihren Beitrag leisten müssen. Wer im neuen Jahr dazu bereit ist, darf darauf hoffen, die Unterstützung von oben zu bekommen. Shana tova!

Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Ernest Bloch
Titel: Drei Skizzen aus dem jüdischen Leben - für Violoncello und Klavier
* Prayer - 1.Satz (00:03:25)
Solist/Solistin: Raphael Wallfisch /Violoncello
Solist/Solistin: Linn Hendry /Klavier
Länge: 03:30 min
Label: Chandos 6552

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