Susan Sontag über den Protest der Jungen

18. Jänner 2023, 06:56

"Meinen Sie, dass die Aktivitäten der jungen Leute heutzutage etwas Positives erwarten lassen?" Das fragte im Jahr 1966 eine New Yorker Zeitschrift. Susan Sontag, eine der Befragten, antwortete darauf mit einem klaren Ja und einer längeren Anmerkung.

Die damals 33-Jährige fand die Aktivitäten junger Leute vielversprechend, das Unruhestiften einiger bezeichnete sie als "das einzig Verheißungsvolle, was sich in diesem Land heutzutage finden lässt". Sie meinte damit deren "wiedererwachtes Interesse an Politik" und "die Art und Weise, wie sie tanzen, sich kleiden, das Haar tragen, randalieren, sich lieben."

Manche der Sätze, die die Schriftstellerin und Essayistin damals über die rebellischen Jungen und ihre Heimat schrieb, klingen seltsam aktuell: "Der Komfort und die Freiheiten, die Amerika bietet, verschleiern, wie verzweifelt die Lage ist. Es ist verständlich, wenn die meisten Menschen nicht glauben können, dass es so schlimm steht. Die Kapriolen dieser Jugend sind für sie deshalb nichts weiter als aufrüttelnde Momente in der vorüberziehenden Parade kultureller Moden, die man mit einem freundlichen, doch im Wesentlichen müden und abgeklärten Blick beurteilt", schreibt sie. "Jenem bekümmerten Blick, der besagt: ich war auch ein Radikaler, als ich jung war. Wann werden diese Kids endlich erwachsen und begreifen, was wir auch zu begreifen hatten, dass die Dinge sich niemals wirklich ändern, es sei denn zum schlechteren?"

Doch wenn da eine Hoffnung ist, dann liegt sie in den anständigen und sensiblen jungen Leuten. "Sie fühlen sich nicht hingezogen zu den abgestandenen Wahrheiten der traurigen Älteren (auch wenn es denn Wahrheiten sind)", so Sontag. "Die Älteren sollten mehr auf sie hören."

Service

Susan Sontag, "Was in Amerika geschieht. In: Gesten radikalen Willens", S. Fischer

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Sendereihe

• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler