Susan Sontag über das Böse

21. Jänner 2023, 06:56

Die vor 90 Jahren in New York geborene Autorin und Essayistin Susan Sontag verstand Schriftsteller und Schriftstellerinnen als moralisch Handelnde. Weil sie über moralische Probleme nachdenken, "darüber, was gerecht und ungerecht ist, was besser und was schlechter ist, was abstoßend und bewundernswert ist, was beklagenswert ist und was Freude bereitet oder Zustimmung weckt".

Sontag meint damit kein Moralisieren, sondern ein praktisches Nachdenken. Indem die Literatur erzählt, indem sie die Fantasie anregt, schule sie auch die moralische Urteilskraft. "Das moralische Urteil beruht im Wesentlichen auf unserer Fähigkeit, Aufmerksamkeit aufzubringen", so Sontag, "einer Fähigkeit, die notwendigerweise Grenzen hat, aber diese Grenzen lassen sich ausweiten".

Die Schriftstellerin Susan Sontag war selbst von Kindesbeinen an eine leidenschaftliche Leserin, sie liebte die europäische Kultur. Und sie erwartete viel, sehr viel von der Literatur. Literatur nimmt einen mit auf die Reise, durch die Zeit, durch den Raum, sie "bringt etwas in Gang, wo vorher nichts war". Sie erinnert an die "Gleichzeitigkeit dessen, was auf der Welt vor sich geht". Wir brauchen die Literatur, so Susan Sontag, "um unsere Welt zu erweitern".

Viele Erzählungen gehen der Frage nach: "Warum gibt es das Böse? Warum verraten und töten Menschen einander? Warum leiden die Unschuldigen?" Vielleicht, so Sontag, "sollte man dieses Problem andersherum formulieren: Warum ist das Böse nicht überall? Genauer gesagt - warum ist es an manchen Orten, aber nicht überall? Und was sollen wir tun, wenn es nicht uns widerfährt? Wenn das Leiden, das erduldet wird, das Leiden anderer ist?"

Service

Susan Sontag, "Zur gleichen Zeit. Der Schriftsteller und das moralische Urteil. Die Nadine-Gordimer-Vorlesung". In: Zur gleichen Zeit. Aufsätze und Reden, Fischer TB

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Sendereihe

• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler