Sind wir nicht alle korrupt?

30. Jänner 2023, 13:00

Abraham Lincoln hat am 31. Jänner 1865 die rechtliche Abschaffung der Sklaverei auf den Weg gebracht, schreibt der Philosoph Heiner Hastedt in seinem Buch "Macht der Korruption". Die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit im US-Repräsentantenhaus hat der Präsident sich allerdings erkauft. Sind korrupte Praktiken erlaubt, wenn es darum geht, Gutes für die Menschheit zu tun? Denn persönlich hatte Lincoln nichts davon, dass der 13. Zusatzartikel zur US-Verfassung per Stimmenkauf angenommen wurde. Heiner Hastedt zitiert das historische Beispiel, um davor zu warnen, Bestechung und Bestechlichkeit vorschnell und generell zu verurteilen.

Gleichzeitig erweist sich Hastedt als skrupulöser Selbstbeobachter, wenn er etwa schreibt: Warum achte ich so sorgfältig darauf, dass beim Facharztbesuch meine beiden akademischen Titel aufscheinen? Verspreche ich mir eine aufmerksamere Behandlung? Ist das korrupt? Wo beginnt also Korruption? Im Falle der früheren Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Eva Kaili, scheint der Fall klar zu sein. Die Vorwürfe lauten auf Geldwäsche und Bestechlichkeit. Es geht um Geld- und Sachgeschenke aus Katar und Marokko zum Zwecke der politischen Einflussnahme - ein Skandal in einer Institution, die so sehr darauf erpicht ist, von sich selbst und ihren Mitgliedern höchstmögliche Tugendhaftigkeit zu verlangen.

Doch nicht immer wird diese Form moralischer Verderbtheit als Korruption benannt. In großen Teilen der Welt gilt es als selbstverständlich, erst als Teilnehmer eines korrupten Systems zur erwünschten Dienstleistung zu kommen. Andererseits ist es nicht immer nötig, weit weg zu fahren, um quicklebendige Systeme von Geben und Nehmen zu beobachten, und zwar in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, auch in den Medien, wenn etwa süffige Interviews mit hochrangigen PolitikerInnen erkauft werden durch ungesunde Nähe zwischen Interviewer und Interviewtem. Bundespräsident Alexander Van der Bellen erinnerte kürzlich wieder im ORF daran, dass auch Österreich ein Korruptionsproblem habe: Die Freunderlwirtschaft müsse wirklich aufhören, so Van der Bellen: "Das ist ein Gift."

Welche Faktoren begünstigen Korruption? Wie lässt sich Korruption wirksamer verhindern und aufdecken? Wie können Whistleblower besser geschützt werden vor gerichtlicher und moralischer Verfolgung durch eine Gesellschaft, die das Aufzeigen von Kumpanei und Kameraderie gerne Nestbeschmutzung nennt.?

Alexander Musik spricht darüber mit Heiner Hastedt vom Institut für Philosophie an der Universität Rostock und Claudia Loderbauer, sie ist langjährige Unternehmensberaterin für Korruptionsprävention und Compliance sowie Consultant für die EU-Kommission zur Vorbereitung des österreichischen "rule of law"-Berichts, in dem die Antikorruptionsmaßnahmen Österreichs von der EU-Kommission beurteilt werden.

Wie immer sind Sie eingeladen, sich an der Sendung zu beteiligen. Kostenlos aus ganz Österreich können Sie uns während der Sendung unter 0800 22 69 79 erreichen; oder Sie schreiben uns ein Mail an punkteins(at)orf.at

Service

Heiner Hastedt: "Macht der Korruption. Eine philosophische Spurensuche". Meiner Verlag 2020.

Sendereihe

• Punkt eins

Gestaltung

• Alexander Musik