Sölle über die Abhängigkeit Gottes

22. April 2023, 06:56

"Gott hat keine anderen Hände als die unseren." Das ist einer der bekanntesten Sätze aus der Feder der evangelischen Theologin Dorothee Sölle.

Gott hat keine anderen Hände als unsere. Gott braucht uns Menschen. Ist abhängig von uns. Was für ein Gedanke in einer Gesellschaft wie der unseren, in der Abhängigkeit von anderen als Angriff auf die Würde erlebt wird, in der Menschen sagen: "Lieber sterbe ich, als auf andere angewiesen zu sein!"

Gott ist angewiesen auf den Menschen. Das ist der vielleicht provozierendste theologische Gedanke Dorothee Sölles. In unterschiedlichen Ausformungen begegnet er in ihren Texten.

So ist Christus für Sölle nicht nur der solidarisch Mitleidende, sondern braucht selbst Solidarität. Die Szene im Garten Gethsemane steht dafür. Jesus weiß, dass er leiden und sterben wird. Er geht nach Gethsemane um zu beten, dass dieser Kelch an ihm vorüber gehen möge - und er bittet seine Jünger: "Meine Seele ist betrübt bis an den Tod; bleibt hier und wachet mit mir!" (Mt 26,36)

Jesus braucht seine Jünger. Gott braucht uns Menschen. Er hat keine anderen Hände als die unseren. Was das für sie bedeutet, beschreibt Dorothee Sölle im Gedicht "Träume mich, Gott":

"Nicht du sollst meine probleme lösen
sondern ich deine gott der asylanten
nicht du sollst die hungrigen satt machen
sondern ich soll deine kinder behüten
vor dem terror der banken und der militärs
nicht du sollst den flüchtlingen raum geben
sondern ich soll dich aufnehmen."

Aber, frage ich mich, ist das nicht zu viel der Verantwortung, die da auf unsere menschlichen Schultern geladen wird? Schlüpft hier nicht der Mensch in die Rolle des Erlösers? Nein. Denn die Fähigkeit und Kraft, an Gottes Stelle die Probleme dieser Welt zu lösen, kommen von Gott. Dorothee Sölle kleidet diese Einsicht in ein poetisches Bild. Sie schreibt: "Du hast mich geträumt gott wie ich den aufrechten Gang übe."

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• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler