Sarah Kirsch schreibt Worte mit Kreide

4. Mai 2023, 06:57

Flaches Land, Nordseenähe, Schafe und vor allem dieser Himmel, der sich stets verändert. In Schleswig-Holstein, wo Sarah Kirsch die letzten 30 Jahre ihres Lebens verbracht hat, hat die Lyrikerin Stoff genug für ihre Literatur gefunden.

In einem der wenigen Texte über das Schreiben selbst, hat die vor zehn Jahren verstorbene Dichterin, das Schreiben als eine "körperliche Sucht" bezeichnet. "Ich grase das hier ab wie ein Schaf, fresse das, bis alles gefressen ist", hat sie einmal gesagt. Doch die Gegend war nie ausgefressen, Sarah Kirsch konnte "dasselbe immer wieder von einem anderen Punkt aus beschreiben".

In ihrem 2005 erschienenen Prosaband "Kommt der Schnee im Sturm geflogen" schreibt Kirsch: "Weshalb ich schreibe, weshalb ich lebe, fällt ja zusammen. Weil ich herausfinden will, was ich hier soll. Auf diesem seltsamen Planeten. Ob das einen Sinn macht, dass ich hier ging. Weil es mitunter hübsch ist, ein anderes Mal schrecklich, im Ganzen aber absurd und witzlos."

Schreiben und Existenz sind eins, Selbstvergewisserung meint aber nie Selbstbehauptung, Glaubensbekenntnis, Systemerhaltung. Man muss ihre Gedichte schon sehr ungenau lesen, um darin Idyllen zu sehen. Beschaulicher Zustand ist ihre Sache nicht, selbst wenn die Vögel singen. Sarah Kirsch schaut in die Natur und bohrt dabei Systeme an. Ihre Gedichte decken die Bodenlosigkeit auf, die Flüchtigkeit, die Sinnfragen, die sich von keiner noch so schönen Landschaft, keinen noch so schönen Worten ablenken lassen.

Sie ist "unterwegs", wie auch eines ihrer Gedichte heißt:

Mein Körper der mich begleitet
Lebenslänglich verfolgt
Von einem dunklen Schatten
Geformt wie ein Hund versessen
Um mich zu sein
Ein paar Worte mit Kreide
Auf die Straße geschrieben im
Regen

Service

Iris Radisch, "Die letzten Dinge", Rowohlt Verlag
Sarah Kirsch, "Kommt der Schnee im Sturm geflogen", DVA Verlag
Sarah Kirsch, "Von Haupt- und Nebendrachen. Von Dichtern und Prosaschreibern.", Wallstein Verlag

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Sendereihe

• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler