Sarah Kirsch und der Rest des Fadens

6. Mai 2023, 06:57

Über ihr Schreiben zu reden war ihre Sache nicht. Und so sagt die Lyrikerin Sarah Kirsch in ihren Frankfurter Poetikvorlesungen, die sie 1996 / 1997 dann doch gehalten hat: "Bisher habe ich mich stets erfolgreich gedrückt, wenn ich in die Nähe einer Poetik-Vorlesung gelangte. Bin sehr standhaft gewesen, jetzt: eine Spätberufene doch. Ich bin ja die, die nicht mal bei einem Preis eine Rede macht, weil sie sich sagt, das, was ich am besten kann, das sind doch Gedichte oder kleine oder etwas größere Prosa." Das heißt: schreiben, schreiben, schreiben und dann den Text steigen lassen "wie einen schönen beweglichen phantastischen Drachen".

1978, ein Jahr nach ihrem Wechsel von der DDR in den Westen, sagte Sarah Kirsch in einer Westberliner Schule, sie möchte Gedichte schreiben, "in denen für den Lesenden noch Spielraum ist, wo er selbst auch etwas machen kann. Ich möchte meine Leser:innen nicht völlig festlegen. Sie müssen nicht dasselbe empfinden, was ich empfunden habe. Es sind nur kleine Anstöße und jeder kann sich in den Zeilen noch bewegen - und mehr will ich eigentlich gar nicht, als dass jemand sagt: So ähnlich ist es mir auch schon mal gegangen, das habe ich auch schon mal gedacht. So eine kleine Solidarisierung zwischen dem Schreibenden und den Leser:innen."

Man kann dem nachspüren, auch in dem Gedicht, das 1979 im Band "Drachensteigen" erschienen ist. Es heißt: "Der Rest des Fadens":

"Drachensteigen. Spiel
Für große Ebnen ohne Baum und Wasser. Im offenen Himmel
Steigt auf
Der Stern aus Papier, unhaltbar
Ins Licht gerissen, höher, aus allen Augen
Und weiter, weiter
Uns gehört der Rest des Fadens, und dass wir dich kannten."

Service

Sarah Kirsch, "Von Haupt- und Nebendrachen. Von Dichtern und Prosaschreibern.", Wallstein Verlag
Sarah Kirsch, "Erklärung einiger Dinge. Dokumente und Bilder.", Verlag Langewiesche-Brandt
Sarah Kirsch, "Drachensteigen", Verlag Langewiesche-Brandt

Kostenfreie Podcasts:
Gedanken für den Tag - XML
Gedanken für den Tag - iTunes

Sendereihe

• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler