Cornelius Hell

Cornelius Hell - ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Gedanken für den Tag

Ekstase und Stille

Cornelius Hell, Literaturkritiker und Übersetzer zum 250. Geburtstag von Wilhelm Heinrich Wackenroder und Ludwig Tieck

"So wahr ist es, dass viele in der Unerfahrenheit der Jugend noch am besten sind, dass die Klugheit der Jahre sie erst mit dem dichtesten Nebel überhängt, und dass sie dann den Glanz der Sonne leugnen." Dieser Satz im Buch "Phantasien über die Kunst" von Wilhelm Heinrich Wackenroder und Ludwig Tieck hat mich aufhorchen lassen.

Nicht nur, weil ich Menschen kenne, die in ihrer Jugend am originellsten waren und dann durch erzwungene Klugheit ihre Kreativität verloren, sondern weil diese Sätze auch mich selbst aufgeschreckt haben. In manchen trüben Tagen der letzten Monate hatte ich das Gefühl, meine Welt habe sich abgenutzt, sei grau geworden und vorhersehbar, die Faszination und das Staunen seien in die Ferne gerückt.

Das hat mich deprimiert und erschreckt. Denn es ist zwar unvermeidlich, dass ich jetzt, wo ich langsam hineinwachse ins Alter, vieles schon kenne und vergleiche, aber nicht mehr so darüber staunen kann wie als junger Mann. Dennoch gilt noch immer, was ich vor einigen Jahren in mein Tagebuch geschrieben habe: "Ich kann nicht leben ohne die Ekstase."

Diesen Satz laut zu sagen, ist gefährlich, ich weiß, denn für manche klingt er nach ständigem Erlebnishunger und Gier nach immer neuen Erfahrungen. Aber ohne jede Ekstase bleiben mir nur die stoische Vernunft und eine abgenutzte Welt. Nun lässt sich freilich die Ekstase nicht organisieren, und wenn man gezielt danach sucht, ist man auf dem Holzweg. Man kann sich ihr nur öffnen.

Meine Ekstasen kommen aus spontanen Begegnungen, aus Liebe und Nähe und aus unerwarteten Blicken und Worten meiner Kinder. Und immer wieder aus der Musik, aus einigen wenigen Bildern und aus den Texten, die ich wie geistige Amulette mit mir herumtrage und mitnehmen werde bis ins Grab. Wenn ich allein in der Stille meiner Wohnung sitze, fühle ich mich dem kunstliebenden Klosterbruder von Wackenroder und Tieck manchmal recht nahe.

Service

Wilhelm Heinrich Wackenroder; Ludwig Tieck, "Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders", Reclam Verlag
Wilhelm Heinrich Wackenroder, Ludwig Tieck, "Phantasien über die Kunst", Reclam Verlag
Ludwig Tieck, "Wilde Geschichten", Verlag Galiani

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Johann Nepomuk Hummel 1778 - 1837
Titel: Sonate für Violoncello und Klavier in A-Dur op.104
* Rondo: Allegro vivace un poco - 3.Satz (00:07:08)
Cellosonate
Solist/Solistin: Boris Pergamenschikow
Solist/Solistin: Pavel Gililov
Länge: 07:08 min
Label: Orfeo C 252931A

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