Schilfrohr unscharf

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Gedanken für den Tag

Blaise Pascal - Ein schwaches Schilfrohr

Wolfgang Müller-Funk, Literaturwissenschafter, zum 400. Geburtstag des Philosophen und Mathematikers Blaise Pascal

Der moderne Mensch scheint sich seiner selbst, vor allem seiner Stärke sehr sicher, womöglich zu sicher zu sein. Technik und Fortschritt in allen Lebensbereichen erzeugen in ihm das Hochgefühl von Selbstmächtigkeit. Der Humanismus der Renaissance hat den Menschen vielfach als ein göttliches Wesen gefeiert, ihn in Bilder und Skulpturen gegossen.

Aber könnte diese Stärke nicht aus der verdrängten Erfahrung der Schwäche resultieren? Mit dieser bohrenden Frage konfrontiert uns der französische Philosoph Pascal, der als Mathematiker selbst Teil dieser neuen Epoche ist, in der sich die Menschheit anschickt, ihr Schicksal durch Technik und Kultur selbst in die Hand zu nehmen.

Der Erfinder einer Rechenmaschine und gewissermaßen Vordenker des Computers, widerspricht diesem selbstschmeichlerischen Bild des Menschen, wenn er an einer Stelle notiert, der Mensch sei nur ein "schwaches Rohr der Natur", ein Schilfrohr im Wind, das nur allzu leicht knickt, das aber auch, ließe sich sagen, lernt, sich im Wind zu bewegen. Und Pascal fügt hinzu: "Das ganze Universum braucht sich nicht zu bewaffnen, ihn zu zermalmen. Etwas Dampf, ein Tropfen Wasser genügt, ihn zu töten."

Der Mensch nimmt sich winzig im unendlichen Universum aus, und doch hat er diesem eines voraus. Er ist nämlich ein "denkendes Rohr". Er weiß um seine Endlichkeit, er weiß, dass er sterben wird. Die Hinfälligkeit wird zum Ausweis der Würde des Menschen. Dieses Wissen fordert von ihm, gut und konsequent zu denken. Damit nimmt er gleichsam in einem Tigersprung Grundgedanken der Existenzphilosophie des 20. Jahrhunderts vorweg. In einer Erzählung von Joseph Roth, "April", erinnert sich der Erzähler, wie er als Kind Strohhalme liebte und sie davor bewahren wollte, alsbald, vom Regenwasser getrieben im Kanalschacht zu verschwinden: "Ich rannte auf die Straße, der Regen war schwer und wütend, er peitschte mich, aber ich lief, den Strohhalm retten, und erreichte ihn knapp vor dem Kanalgitter."

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Johann Hermann Schein 1586 - 1630
Titel: Banchetto Musicale - Nr.16 Suite 3 a 5 in a
* Corente - 3.Satz (00:01:48)
Ausführende: Hesperion XX
Leitung: Jordi Savall
Ausführender/Ausführende: Jordi SAVALL geb.1.8.1941 Igualada < bei Barcelona >
Länge: 01:48 min
Label: EMI 7492242

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