Schilfrohr unscharf

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Gedanken für den Tag

Blaise Pascal - Menschliche Zerstreuung

Wolfgang Müller-Funk, Literaturwissenschafter, zum 400. Geburtstag des Philosophen und Mathematikers Blaise Pascal

Blaise Pascals Pensées, Gedanken, kreisen nicht zuletzt um die Beschaffenheit des Menschen, jenes Lebewesens, das er weder verherrlichen, noch geringschätzen möchte. Mit seinen Reflexionen, die immer auch ihn selbst mit einbeziehen, wurde er zum Mitbegründer dessen, was als französischer Moralismus bezeichnet wird. Lange vor Nietzsche blickt er in die Ab- und Hintergründe des Menschlich-Allzumenschlichen.

Viele Aphorismen in seinem nachgelassenen Werk beschäftigen sich mit der Langeweile und der Zerstreuung. Der Mensch hält es nicht gut mit sich selbst und bei sich aus. Das ganze Unglück des Menschen rührt demzufolge für Pascal daher, "dass er sich nicht ruhig in seinem Zimmer zu halten weiß." Wäre er dazu imstande, müsste er nicht fortwährend über das Meer reisen, sondern würde geruhsam, mit sich selbst zufrieden, zu Hause bleiben. Stattdessen zieht er gefährliche Unternehmungen und Kriege vor, um von sich selbst abzulenken.

Die Angst des Menschen vor ruhiger Selbstbetrachtung hat einen triftigen Grund: Unsere Betriebsamkeit schützt uns vor der Erkenntnis unseres natürlichen Unglücks, schwache und sterbliche Lebewesen zu sein. Deswegen jagen wir Leidenschaften und traurigen Unternehmen nach, die dieses Unglück vielleicht nicht verdrängen, aber von ihm ablenken.

Als solche Ablenkungen versteht Pascal auch die vielen Ämter, die sich der Mensch geschaffen hat, "Superintendent, Kanzler, Ministerpräsident". In diesen Tätigkeiten ist der Mensch stets von anderen umgeben, kaum genötigt, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Darum leiden viele Menschen, wenn sie heutzutage ihre Ämter räumen müssen und mit stattlichem Geld ausgerüstet in Pension gehen dürfen, an Langeweile. So ließe sich mit Blick auf heute sagen, ist die Freizeit- und Konsumwelt mitsamt Konsumtempeln, Werbung und Netz, eine Pyramide zur Zerstreuung all der Langeweile, die hinter unserem Tun lauert.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Johann Hermann Schein 1586 - 1630
Titel: Banchetto Musicale - Nr.6 Suite 1 a 5 in a
* Gagliarda - 2.Satz (00:01:22)
Ausführende: Hesperion XX
Leitung: Jordi Savall
Länge: 01:22 min
Label: EMI 7492242

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