EVA MRAZEK
Gedanken für den Tag
Tier und Traum
von Petra Nagenkögel, Schriftstellerin
25. Juli 2023, 06:57
In seiner Autobiografie "Die gerettet Zunge" schreibt der Autor und Nobelpreisträger Elias Canetti vom Aufwachsen in der "tierlosen Welt" seiner Mutter, und davon, wie "ausgehungert nach Tieren" er als Kind gewesen sei.
Vielleicht ist es dieser als Mangel erfahrene Umstand, dass der 1905 geborene Autor sich in seinem gesamten Werk in vielfacher Weise mit den komplexen Beziehungen zwischen Tier und Mensch beschäftigt, mehr noch: dass ihm das Tier-Mensch-Verhältnis zu einem zentralen Lebensthema wird.
Was Canetti schon in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts befragt, ist nichts weniger als der Ort des Menschen in der Welt, seine Position im Weltganzen. Dabei stellt er die anthropozentrische Haltung zur Disposition, den Anspruch des Menschen, sich als Krone der Schöpfung zu sehen, sich an die Spitze einer von ihm definierten Hierarchie von Lebewesen zu stellen und damit nicht zuletzt die Ausbeutung von Tieren zu rechtfertigen.
Es geht Canetti nicht um Identifikation, nicht um die Aufhebung des Unterschiedes zwischen Tier und Mensch, sondern im Gegenteil um die Betonung des unüberbrückbar Fremden der Tiere. Es sei ihre Andersheit, die sie so wichtig für uns mache. Denn: Um uns selbst zu erkennen, braucht es ein Gegenüber, das uns nicht gleicht. Auch die Kraft unseres Träumens sei, so Elias Canetti an seinem Lebensende, an die Vielfalt und die Vielgestaltigkeit der Tiere gebunden. Mit ihrem Aussterben, ihrem unwiederbringlichen Verschwinden würden auch unsere Träume farblos werden, verarmen, versiegen.
Nach wissenschaftlichen Berechnungen wird in den nächsten Jahrzehnten eine Million Arten aussterben. Canetti folgend, frage ich mich, was dieser Verlust für unsere Existenz in der Welt bedeutet. Was er für unsere Begabung zu träumen bedeutet.
Service
Petra Nagenkögel, "DORT. Geografie der Unruhe" Verlag Jung und Jung
Elias Canetti, "Über Tiere", Hanser Verlag
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Sendereihe
Gestaltung
Playlist
Komponist/Komponistin: Ludovico Einaudi geb.1955
Album: UNA MATTINA / LUDOVICO EINAUDI
Titel: Dna - für Klavier und Violoncello
Solist/Solistin: Ludovico Einaudi
Solist/Solistin: Marco Decimo
Länge: 03:40 min
Label: Decca/Universal 4756292