Erbe des Bösen

2. September 2023, 06:57

In der biblischen Tradition spielt Erinnerung eine zentrale Rolle. Die Erinnerung gilt vor allem den Heilstaten Gottes in der Geschichte. Erinnert werden sollen aber auch das Leid, das Böse und die Gewalt in der Geschichte. Dies dient dazu, diese Geschichte nicht wiederholen zu müssen.

Was passiert, wenn man die Erinnerungen an Leid und Gewalt vergisst, erzählt der Vorspann zur Filmversion des "Herren der Ringe". Die Völker Mittelerdes hatten den Krieg Saurons gegen Mittelerde 2000 Jahre zuvor schlichtweg vergessen. Vor allem aber hatten sie vergessen, dass der Ring der Macht nach wie vor existierte. Denn König Isildur hatte ihn, von der Gier nach Macht erfasst, nicht vernichtet. So konnte der böse Geist Saurons überleben und die ahnungslose Bevölkerung Mittelerdes wieder bedrohen.

Aragorn, ein Nachfahre Isildurs, weiß um diese Geschichte. Weil er fürchtet, dass er als Erbe gezwungen ist, das böse Schicksal seiner Ahnen zu wiederholen, weigert er sich, seine Berufung, die Königsrolle, zu übernehmen. In der Psychoanalyse nennt man dies die Angst vor einem generational weitergegebenen Wiederholungzwang; eine Angst, die mehr oder weniger bewusst auch heute manche Menschen quält.

Der gläubige Katholik Tolkien widerspricht diesem Schicksalsglauben. Im Film sagt Arwen, die Geliebte Aragorns, zu Aragorn: "Du bist Isildurs Erbe, nicht Isildur selbst!" Ein nahezu therapeutischer und zugleich biblisch anmutender Satz. Denn der biblische Glaube weiß zwar, dass Menschen an den bösen Taten ihrer Vorfahren leiden, betont aber zugleich, dass niemand an das Schicksal seiner Vorfahren gebunden ist. Jeder Mensch ist frei dazu, sein eigenes Leben zu leben und das Gute zu wählen.

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Gestaltung

• Alexandra Mantler