Lob des Kitschs

22. September 2023, 06:57

Von einer "unreinen Poesie" schwärmte der chilenische Dichter Pablo Neruda einmal und machte diese Idee zu einem Prinzip seines Schreibens. Wahrnehmbar sollte in ihr "das verschwommen Unreine des Menschen" werden, was für Neruda hieß, dass die Lyrik ihren Blick auf die Gegenstände des Alltags zu richten hatte und auf die "oftmals tragische, immer pathetische Atmosphäre", die für den Dichter von ihnen ausging.

Nicht selten hat die Literaturkritik Neruda einen unerträglichen Kitsch vorgeworfen, wenn er Oden auf Artischocken schrieb oder das kleine Leben eines Schumachers in seinen Versen zur eigentlich epischen Existenz verklärte. Darüber geärgert haben dürfte sich der Dichter allerdings kaum, denn, so seine Meinung: "Wer dem schlechten Geschmack entflieht, verfällt dem Frostigen." Das war einerseits gegen die hochgeistigen Dichterkollegen der Moderne gerichtet, die von Kunstsprachen träumten und von nichts mehr angeekelt waren als von der Banalität des einfachen Menschen. Es entsprach aber auch schlicht seinem Ideal eines populären und nicht selten auch populistischen Volksdichters, der es später zum Senator in seinem Heimatland brachte und auch bis heute quer durch alle Bevölkerungsschichten gelesen wird.

"Die Gebiete eines stummen Kontinents mit Worten anfüllen" - so verstand Neruda seine und die Aufgabe der lateinamerikanischen Dichter. Denn eben in so einer pathetischen Rhetorik des barocken Zuviel liege, so der Autor, schlicht die Erfüllung "des tagtäglichen amerikanischen Bedürfnisses": eine Sprache zu finden für die Erfahrung einer überwältigenden Wirklichkeit, Geschichte und Natur dieses Kontinents, der im Modus des kühlen Blicks offenbar nicht beizukommen ist.

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• Alexandra Mantler