Eine jüdische Frau betet am Strand während Rosch Haschana

AP/TSAFRIER ABAYOV

Gedanken für den Tag

Getrieben von Übertreibung

Ethel Merhaut, Sängerin, macht sich Gedanken zum jüdischen Neujahrsfest Rosch Haschana

Oft werde ich gefragt, ob ich die Musik der 20er und 30er Jahre gerne selbst höre und ich muss dann immer mit einem Schmunzeln sagen: eigentlich nicht!

Ich liebe das Repertoire der Zeit und natürlich höre ich mir die Interpretationen an, aber eigentlich macht es mir einfach Spaß, sie selbst zu singen. Die witzigen Texte, die Möglichkeit, mit der Sprache zu spielen, das Improvisieren und die Möglichkeit, gesanglich viele, viele Farben zu erschaffen.

Nicht affektiert sein, nicht übertreiben: Das ist wahrscheinlich die größte Herausforderung von Künstler:innen unserer Zeit. Erst letzte Woche hat mich mein Coach gebeten: Bitte lass dich nicht von diesem Trend verführen, zu viel machen zu wollen.

Dabei meint er das sich Winden und Räkeln am Klavier bei Pianisten oder das Overacten und ständige Brüllen von Schauspielern, oder das Mund aufreißen und überstützen bei Sängern und ich muss zugeben, er hat irgendwo recht. Man lässt sich sehr leicht dazu verleiten, durch äußere Bewegungen und übertriebene Gesten fehlende innere Emotionen zu kompensieren. Als Gegenbeispiel muss man sich nur Horowitz ansehen, der mit absoluter Ruhe am Klavier saß und mit seiner Interpretation jedem den Atem raubte. Und nur ein Blick auf Horowitz Gesicht eröffnet einem ein Universum an Gefühlen.

Oder Leontyne Price, die mit einer absoluten Ruhe und inneren Haltung magische Momente kreierte. Im Jazz muss man nur Sarah Vaughn oder Ella Fitzgerald beobachten - da ist nichts überzeichnet oder gespielt - einfach nur genial!

Aber ja, wir leben nun mal in einer seltsamen Zeit, in der oft gespielte Leidenschaft und überbordende Bewegungen mit innerer Intensität verwechselt werden. Ich denke, dass diese Modeerscheinung stark mit den sozialen Medien zu tun hat, in denen man überhaupt nicht mehr von Realem oder Gespieltem, Gestaltetes von Spontanem, Professionelles von Laienhaftem unterscheiden kann.

Doch zurück zu Horowitz, Price & Co: Letztendlich bin ich davon überzeugt, dass sich das Publikum nicht so leicht lumpen lässt. Instinktiv weiß man, ob ein Künstler da oben es ernst meint oder nicht und dieser Gedanke ist irgendwie beruhigend.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Jara Benes 1897-1949
Textdichter/Textdichterin, Textquelle: Fritz Löhner-Beda
Album: Süß & bitter
Titel: Benjamin ich hab' nichts anzuzieh'n
Solist/Solistin: Ethel Merhaut
Ausführender/Ausführende: Belush Korenyi
Ausführender/Ausführende: Chris Kronreif
Ausführender/Ausführende: Benjy Fox-Rosen
Ausführender/Ausführende: Maria Petrova
Länge: 03:07 min
Label: Sony Masterworks 19439753932

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