Töpferarbeiten

AP/RAMAKANTA DEY

Radiokolleg

Nicht ohne meinen Körper! Psychoanalyse des Leibes (3)

Wie ich mich begreife

Wenn wir die Welt ertasten, begreifen wir sie - das ist im doppelten Sinne zu verstehen. Ohne den Tastsinn könnten wir weder ein Gefühl für Zeit und Raum gewinnen, noch stehen oder gehen. Gemeinsam mit den anderen Sinnen erschließt sich dadurch unser Gefühl für das Körperschema, das wir auch psychisch erfassen müssen. Dadurch verstehen wir, wo welche Körperteile bzw. Körperöffnungen überhaupt angeordnet und zu finden sind.

Tastsinn und Berührung sind zudem von Geburt an taktile Fähigkeiten, über die sich auch das Denken und Fantasieren entwickelt. Über das Taktile, das sinnliche Be-Greifen der Welt, erschließt sich die Beziehung zu Dingen wie zu sich selbst. Und doch hat sich eine Hierarchie der Sinne etabliert: das Sehen - und damit das Auge - spielt die größte Rolle, erst dann folgen Hören, Riechen und Schmecken.

Tatsächlich ist aber der Tastsinn mit dem Kontaktorgan, der Hautoberfläche, der Wichtigste im Gefüge der Sinne. Der Embryo entwickelt den Tastsinn noch vor den anderen Sinnen in der achten Schwangerschaftswoche. Es entstehen erste wichtige räumliche Erfahrungen an der Gebärmutterwand und über die Nabelschnur. Der Neurowissenschaftler Joachim Bauer beschreibt diese Körper-Gefühle des Tastsinns und erklärt, dass Erinnerungen nicht nur Kopfsache sind, sondern dass der gesamte Körper Gedächtniserfahrungen produziert.

Das so genannte "Haut-Ich", die frühesten Erfahrungen mit der Haut, spielen schließlich für die sexuelle Entwicklung, für unbewusste wie bewusste Beziehungen und die Liebesfähigkeit des Menschen, eine entscheidende Rolle. Auch Kultur-Geschichten wie Ovids "Metamorphosen" zeigen, dass Tastsinn und Berührung entscheidende Indikatoren für Verlebendigung und Entwicklung des Subjektes sind. Davon erzählt u.a. der Pygmalion-Mythos. Kulturtechniken beruhen zwar darauf, Erfahrungen und Weltverständnis zu verarbeiten, und damit in Distanz zu bringen, der Soziologe Hartmut Rosa weist jedoch auf die subjektive, direkt sinnliche Erfahrung des Menschen hin, aus der sich Tastsinn und Berührung auch als wichtige soziale Phänomene erweisen.

Service

Radiokolleg-Podcast

Sendereihe

Gestaltung

  • Katrin Mackowski