BELVEDERE WIEN/LUKAS SCHALLER
Passagen
Der Kontext macht die Kunst!
300 Jahre Belvedere: Ein Ö1 Artist Talk mit Stella Rollig, Wolfgang Ullrich, Margot Pilz und Jojo Gronostay. Moderation: Christine Scheucher. Aufgenommen am 25.9.2023 im Unteren Belvedere
6. November 2023, 16:05
Zum Sturm der Paläste, aber auch der Museen riefen die Futuristen bereits 1909 in ihrem berühmten Manifest auf. Als Hort eines bildungsbürgerlichen Erhabenheitskults galten diese den Avantgarden als Mausoleen einer Welt von Gestern. Auch in den 1960er und 70er Jahren wurde Institutionskritik großgeschrieben. Raus aus dem White Cube!
Rein in den öffentlichen Raum! lautete eine Losung der Stunde. Doch der Musentempel von einst hat längst nichts mehr mit dem Museum von heute zu tun. Das Museum des 21. Jahrhunderts ist Bildungseinrichtung und Tourismusmagnet, Bühne politischen Handelns (das lehrten uns in den vergangenen Jahren nicht zuletzt spektakuläre Aktionen von Klimaaktivist:innen) und Treffpunkt einer diverser werdenden Community.
Das Belvedere, das 2023 sein 300-jähriges Jubiläum feiert, ist eines der ersten öffentlichen Museen Europas. Bereits 1777 öffnete Maria Theresia den Barocken Repräsentationsbau des siegreichen Feldherrn Prinz Eugen von Savoyen für Besucher und Besucherinnen und zwar - und das ist bedeutend - egal welchen Standes. Für Dienstmagd oder Aristokrat galt: Die Kunst ist für alle da. Bei freiem Eintritt! Seither blickt das Belvedere mit seiner weltberühmten Sammlung vor allem der Wiener Moderne auf eine wechselvolle Geschichte zurück, die in der Jubiläumsausstellung "Das Belvedere. 300 Jahre Ort der Kunst" dokumentiert wird.
Trotz großer Historie wagt das Haus heute das Experiment: Etwa als Gustav Klimts Gemälde "Der Kuss" 2022 als NFT erworben werden konnte. Die digitale Version wurde in 10.000 NFTs geteilt. Kritiker:innen rümpften die Nase, für das Belvedere war das Projekt lukrativ. Die traditionelle Kernaufgabe der Museen, nämlich zu sammeln und zu bewahren, ist längst um viele Aufgaben erweitert worden. Klimaneutralität und Inklusion sind gefordert, die kritische Befragung eines eurozentristischen Kanons ist längst überfällig. Denn, Direktorin Stella Rollig zitiert Guiseppe Tomasi di Lampedusa: "Das Museum muss sich verändern, damit alles beim Alten bleibt."