Hugo von Hofmannsthal

Hugo von Hofmannsthal - BILD ARCHIV AUSTRIA

Gedanken für den Tag

"Manche freilich..."

Cornelius Hell, Literaturkritiker und Übersetzer, zum 150. Geburtstag von Hugo von Hofmannsthal

Manche freilich müssen drunten sterben,
Wo die schweren Ruder der Schiffe streifen,
Andre wohnen bei dem Steuer droben,
Kennen Vogelflug und die Länder der Sterne.

Da ist er wieder, dieser geheimnisvolle Sound der frühen Poesie von Hugo von Hofmannsthal. Das Gedicht "Manche freilich." ist nicht gereimt, aber von vielen Klängen durchzogen. Die Ungleichheit der Menschen, die die erste Strophe anhand der zwei Ebenen eines Schiffes veranschaulicht, wird in der zweiten Strophe in weiteren Bildern geschildert. Dann werden in der dritten Strophe die beiden Welten in Verbindung gebracht:

Doch ein Schatten fällt von jenen Leben
In die anderen Leben hinüber,
Und die leichten sind an die schweren
Wie an Luft und Erde gebunden:

Man kann sich also, prosaisch gesagt, nicht abkoppeln von fremden Schicksalen, vom schweren Leben anderer Menschen. Und hier macht das Gedicht einen Schwenk, denn in den letzten beiden Strophen spricht ein Ich:

Ganz vergessener Völker Müdigkeiten
Kann ich nicht abtun von meinen Lidern,
Noch weghalten von der erschrockenen Seele
Stummes Niederfallen fremder Sterne.

Viele Geschicke weben neben dem meinen,
Durcheinander spielt sie alle das Dasein,
Und mein Teil ist mehr als dieses Lebens
Schlanke Flamme oder schmale Leier.

Mit diesem Gedicht von Hugo von Hofmannsthal habe ich meine Schwierigkeiten: Es spricht zu schön von der Ungleichheit der Menschen - und es stellt sie als gegebenes Schicksal dar. Trotzdem faszinieren mich die Bilder, die so deutlich zeigen, dass das Individuum keine Monade ist, dass das Leiden anderer, das Schicksal vergessener Völker oder die Natur und das Universum sich einschreiben in jedes einzelne Ich, auch in meines; dass ich mich davon nicht distanzieren kann, auch wenn mich das erschreckt. Das sagen die zwei Verszeilen, die auch auf Hofmannsthals Grabkreuz stehen:

Und mein Teil ist mehr als dieses Lebens
Schlanke Flamme oder schmale Leier.

Service

Hugo von Hofmannsthal, Gedicht "Manche freilich...", Verlag Reclam

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Richard Strauss 1864 - 1949
Textdichter/Textdichterin, Textquelle: Dominica Volkert
Textdichter/Textdichterin, Textquelle: Hugo von Hofmannsthal 1874 - 1929
Vorlage: Jean Baptiste Moliere 1622 - 1673
Titel: DER BÜRGER ALS EDELMANN - Eine Komödie mit Tänzen von Moliere <1670>, neu eingerichtet von Hugo v. Hofmannsthal <1912>, Monologfassung v. D.Volkert < 1995 > (Ausschnitt) (00:45:18)
2.AUFZUG (00:18:20)
Titel: 18. Einleitung zum zweiten Aufzug / Orchester (00:03:15)
Leitung: Kent Nagano
Orchester: Orchestre de L'Opera National de Lyon
Solist/Solistin: Ernst Theo Richter
Solist/Solistin: Veronica Cangemi
Solist/Solistin: Doris Lamprecht
Solist/Solistin: Brigitte Fournier
Länge: 18:20 min
Label: Virgin classics 5451112 (2 CD)

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