Eine alte Hand und eine junge Hand berühren sich

DPA/OLIVER BERG

Punkt eins

Wenn man nicht mehr entscheiden kann

Die Herausforderungen der Erwachsenenvertretung. Gäste: Elisabeth Bartollschitz, Leitung Erwachsenenvertretung, Geschäftsstelle Wiener Neustadt, NÖ Landesverein für Erwachsenenschutz & Dr. Peter Barth, Leitender Staatsanwalt, Leiter der Abteilung Familien-, Personen- und Erbrecht, Bundesministerium für Justiz & Martin Marlovits, stv. Fachbereichsleiter VertretungsNetz - Erwachsenenvertretung. Moderation: Barbara Zeithammer. Anrufe 0800 22 69 79 | punkteins(at)orf.at

Über manche Rechte machen wir uns erst Gedanken, wenn sie eingeschränkt werden, über manche Herausforderungen erst, wenn sie eintreten: Wer spricht für mich, wenn ich es nach einem Schlaganfall oder Unfall selbst nicht mehr kann? Wer verwaltet meine Angelegenheiten, wenn ich an Demenz oder einer Persönlichkeitsstörung erkranke oder intellektuell beeinträchtigt bin?

Vor 40 Jahren, bis 1984 wurden Betroffene entmündigt, ab 1984 "besachwaltet". Heute gibt es diese Begriffe in Österreich nicht mehr; seit Einführung des 2. Erwachsenenschutzgesetzes 2018 ist von Erwachsenenvertretung die Rede. Diese existiert in vier Formen: von der Vorsorgevollmacht über die gewählte, gesetzliche und gerichtliche Erwachsenenvertretung und sie hat vor allem ein Ziel: die Selbstbestimmung zu erhalten und zu stärken.

Das Recht auf Selbstbestimmung ist ein zentrales Grundrecht und ein Kerngedanke der Menschenrechte - jeder Mensch kann frei entscheiden, wie er sein Leben gestaltet und führt. Etwa 70.000 Menschen in Österreich ist das nicht möglich: In wichtigen Fragen können sie nicht mehr für sich selbst Entscheidungen treffen, ihre Angelegenheiten, wie es im Gesetz heißt, nicht "ohne Gefahr, sich selbst zu schaden, alleine besorgen" - und haben eine Erwachsenenvertretung.

"Eine Erwachsenenvertretung soll immer die Ausnahme sein", sagt Dr. Peter Barth, der als leitender Staatsanwalt und Leiter der Abteilung Familien-, Personen- und Erbrecht im Bundesministerium für Justiz für diese Fragen zuständig ist und das 2. Erwachsenenschutzgesetz ausgearbeitet hat. Eine Erwachsenenvertretung kann nicht pauschal für alle Angelegenheiten bestellt werden, sondern immer nur für konkrete Bereiche.

Das Gesetz, in dessen Entstehung erstmals Betroffene eingebunden waren und dem ein Staatenprüfungsverfahren vorausgegangen war, ist zweifellos ein Paradigmenwechsel und ein Meilenstein der Selbstbestimmung von Betroffenen, sagt Martin Marlovits, stellvertretender Fachbereichsleiter bei VertretungsNetz, dem größten der vier anerkannten Erwachsenenvertretungsvereine, die Betroffene und ihre Angehörigen beraten und unterstützen. Aber es gibt Grund zur Sorge: Bei der zweiten Staatenprüfung Österreichs im August 2023 war Martin Marlovits Teil der zivilgesellschaftlichen Delegation und sieht vor allem die Länder in der Pflicht: was vielfach fehlt, sind die Unterstützungsleistungen, die es braucht, damit Menschen selbstbestimmt leben können. Immer wieder machen Missstände Schlagzeilen, zum Beispiel, wenn für die Anmeldung für einen Pflegeplatz eine bestehende Erwachsenenvertretung oder eine aktive Vorsorgevollmacht verlangt wird - und zwar unabhängig davon, ob künftige Bewohner:innen aktuell entscheidungsfähig sind oder nicht.

Seitdem das 2. Erwachsenenschutzgesetz mit 1. Juli 2018 in Kraft getreten ist, bleiben auch Menschen mit Erwachsenenvertretung grundsätzlich geschäftsfähig. Die heimischen Banken haben sich in einem Konsenspapier dazu verpflichtet, Menschen mit Erwachsenenvertretung nicht vom Zahlungsverkehr auszuschließen; in der Praxis scheint das nicht immer der Fall zu sein: Zieht eine Bank ihren Berater aus einem Pflegeheim ab, weil die Zukunft digital ist, werden auf einen Schlag hunderte Erwachsenenvertreter:innen gebraucht. Die Vereine, mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Drehscheibe des Erwachsenenschutzes geworden, stehen vor Personalschwierigkeiten: Ehrenamtliche, die die Interessen von psychisch kranken bzw. geistig beeinträchtigten Menschen vertreten, werden dringend gesucht.

"Wo sehen wir uns selbst, wenn wir alt sind", fragt Peter Barth, der sich in der Richter:innenaus- und Fortbildung engagiert, und erinnert an die Möglichkeiten der Vorsorge, die mit dem Lebensalter an Relevanz gewinnen sollten, ebenso mit den steigenden Anforderungen des Rechts- und Geschäftsverkehrs. Wie viel Verantwortung hat man für seine individuelle Altersvorbereitung? Und wo ist der Staat, das Bundesland, die Gemeinde verpflichtet, selbstbestimmtes Leben und Teilhabe zu ermöglichen?

Über Möglichkeiten, Herausforderungen und Rechte, die mitunter existenziellen Fragen des Lebens und Zusammenlebens und die Erwachsenenvertretung zwischen Selbstbestimmung und Kontrolle diskutieren Dr. Peter Barth und von Seiten der Erwachsenenvertretung Elisabeth Bartollschitz vom niederösterreichischen Landesverein, Geschäftsstelle Wiener Neustadt und Martin Marlovits vom VertretungsNetz als Gäste bei Barbara Zeithammer.

Diskutieren Sie mit, live während der Sendung unter 0800 22 69 79 oder schreiben Sie ein E-Mail an punkteins(at)orf.at

Service

https://www.bmj.gv.at/themen/Zivilrecht/Erwachsenenschutz.htmlBMJ - Überblick: Erwachsenenschutz
BMJ - Kontaktadressen

Sendereihe

Gestaltung

  • Barbara Zeithammer

Playlist

Urheber/Urheberin: L.v.Beethoven
Titel: Cello Sonata #5 In D, Op. 102_2 - 1. Allegro Con Brio
Ausführender/Ausführende: Heinrich Schiff, Till Fellner
Länge: 06:49 min
Label: brilliantclassic

Urheber/Urheberin: L.v.Beethoven
Titel: Piano Trio No. 2 in G Major, Op. 1, No. 2_ III. Scherzo.
Ausführender/Ausführende: Trio Wanderer
Länge: 03:10 min
Label: Harmonia Mundi

Urheber/Urheberin: L.v.Beethoven
Titel: Trio For Piano, Violin And Violoncello No.4 In B Flat Major.
Ausführender/Ausführende: Trio Wanderer
Länge: 04:40 min
Label: Harmonia Mundi

weiteren Inhalt einblenden