Kleine Welten zwischen Mietshäusern

20. Juni 2024, 06:57

Die Mietshäuser der Jahrhundertwende waren im Wien der 1960er Jahre eigene Welten. Die kleinste Einheit bestand für uns aus der Familie im 2. Stock der Pillersdorfgasse 13.

Die Wohnungen darin waren seriell geschnitten. Vorraum, links die Küche, in der sich auch ein Requisit moderner Hygiene befand, die Badewanne, die zuweilen vor Weihnachten zum kurzfristigen Lebensraum des Weihnachtskarpfens wurde. Die winzige Toilette befand sich an der gegenüberliegenden Seite und war ein beträchtlicher Fortschritt gegenüber dem Klo auf dem Gang, das sich die Parteien eines Stockwerks teilten. Ferner gab es zwei Schlafzimmer und ein Wohn- und Esszimmer, in dem majestätisch die Kredenz stand, die das Geschirr beherbergte.

Zu Wohnungen gehören Gerätschaften und Menschen, die mit ihnen hantieren. Natürlich auch jene Tante, die keine wirkliche war, aber eine wichtige soziale Instanz, was nicht ganz im Einklang mit ihrer unkorrekten Bezeichnung "Bedienerin" stand. Ihr und ihrem Sohn verdanke ich meine erste Begegnung mit Fortschritt, Sozialismus und Rotem Wien. Es war wie eine Große Koalition zwischen der konservativen Welt meiner Familie, die sich vor den Mai-Aufmärschen schreckte, und der "Tante", die ihre Wohnung "besorgte".

Die Familien in dem Friedenszinshaus kannten und grüßten einander, wenn sie sich im Stiegenhaus trafen. Ein besonders prominenter Mitbewohner von imposanter Statur war dabei "Schurl" Blemenschütz mit seiner asiatisch aussehenden Frau. Höflich grüßte der Held vom Heumarkt, der Meister des "Catch as Catch Can" den zierlichen Großvater, tauschte ein paar nette Worte mit ihm aus. Jahre später erfuhr ich, dass Blemenschütz nicht nur ein erfolgreicher Ringer, sondern auch ein erfolgreicher entrepreneur und Kunstsammler war. Als er 1990 starb, war dieser arrangierte Männerkampf indes bereits Vergangenheit.

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• Alexandra Mantler