TAGEBÜCHER

ORF/JOSEPH SCHIMMER

Gedanken für den Tag

Ich habe heimlich seine Tagebücher gelesen

Ingrid Pfeiffer, Germanistin, über das Verfassen und das Lesen von Tagebüchern.

Was im Tagebuch geschrieben wird, könnte auch gelesen werden, soll oder wird, darf keinesfalls oder darf erst dann und dann gelesen werden.

Es gibt kein verbrieftes "Tagebuchgeheimnis", wie das bei Korrespondenzen der Fall ist. Wer aber ohne ausdrückliche Erlaubnis das Tagebuch eines anderen liest, begeht einen Vertrauensbruch besonders intensiver Art. Entsprechend streng werden die meisten Tagebücher vor derartiger Bedrohung geschützt. Unter Ehepartnern werden diese Zonen des Ureigensten nicht selten zum heftig umkämpften Terrain. Wie etwa bei Leo und Sofja Tolstoj, deren - vorsichtig ausgedrückt - schwierige Ehe in den jeweiligen Tagebüchern ein immer wieder wechselweise erkundetes Ventil fand. Die Übergriffe gingen so weit, dass Leo Tolstoj das Tagebuch seiner letzten Lebensmonate auf winzigen Zetteln führte, die er in seinen Stiefeln verwahrte.

Die kleinen Schlösser auf Jungemädchentagebüchern haben zwar nur Symbolcharakter, verweisen jedoch auch auf jenes strikte "keep out", für das viele der großen Tagebuchschreiber wirkungsvollere Maßnahmen fanden. Ich denke an die mehr als 3000 in geheimer Kurzschrift verfassten Tagebuchseiten des Samuel Pepys, an Arthur Schnitzlers in einem Banksafe verwahrte und seine wie auch Thomas Manns weit über ihr Lebensende hinaus gesperrten Tagebücher.

So sehr die täglichen Notate die Bewältigung und Klärung des Erlebten unterstützen, so belastend können sie mitunter als manifeste Zeugnisse werden, die schließlich sogar vernichtet werden. Schnitzler hat es getan, Christa Wolf, auch Thomas Mann. Letzterer mit der Begründung, "eine solche Masse von /.../ sehr geheimen Schriften liegen zu haben" sei ihm "lästig" geworden. "Lästig", schreibt ein anderer wichtiger Diarist des 20. Jahrhunderts, Theodor Haecker, sind Erinnerungen, die lasten. Jedenfalls die durch keine Maßnahme auf Dauer zu schützenden Zeugnisse davon können zu Belastungen werden.

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Sendereihe

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Playlist

Komponist/Komponistin: Frederic Devreese geb.1929
Album: FILMMUSIC FOR RELAXATION AND MEDITATION VOL.2
Titel: La vie s'en va (Suite für Klavier)/instr. / aus dem Film "Soundtrack"
Solist/Solistin: Robert Groslot
Länge: 01:00 min
Label: Milan CD CH 337

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