Sound Art: Zeit-Ton

Eine musikalische Utopie der Dekolonialität für Graz

Zeit-Ton Porträt. George Lewis, einer der "bedeutendsten musikalischen Köpfe unserer Zeit", schreibt im Auftrag des ORF musikprotokoll eine Komposition für das ORF Radio-Symphonieorchester Wien.

Er ist erfolgreicher Improvisationsmusiker, gehört als Pionier der Computermusik zu den angesehensten Experten im Bereich künstliche Intelligenz und ist als Autor ein Vordenker der Dekolonisation: George Lewis. In seinen Arbeiten hat sich der US-amerikanische Komponist, Posaunist, Wissenschaftler und Autor zuletzt mit historischen Figuren der afrikanischen Diaspora auseinandergesetzt.

Für den US-amerikanischen Musikpublizisten Alex Ross ist Lewis "einer der bedeutendsten musikalischen Köpfe unserer Zeit". Lewis, der als Professor an der Columbia University lehrt, hat mit seinem Aufsatz "Dekolonisation der Neuen Musik" im VAN-Magazin für Aufsehen gesorgt. 2023 hat er im Rahmen von Wien Modern in der Alten Schmiede sein mit Harald Kisiedu verfasstes Buch "Composing While Black" präsentiert. Ein Buch, das neue Perspektiven auf das Schaffen afrodiasporischer Komponisten und Komponistinnen eröffnet. KI und Dekolonisation wirken hier zusammen: Stücke wie "Voyager", das auf computergenerierter Real-time-Komposition beruht, sieht Lewis als Schritt weg von eurozentristischen Musikmodellen.

In Wien war 2023 sein Werk über Blind Tom bei den Wiener Festwochen zu erleben, für die Wittener Tage für neue Kammermusik und das Klangforum Wien hat er im selben Jahr mit "Disputatio" ein Stück komponiert, das vom afrodeutschen Philosophen Anton Wilhelm Amo inspiriert ist. Hat sich Lewis in seinem künstlerischen und publizistischen Schaffen also zuletzt mit historischen Persönlichkeiten auseinandergesetzt, wählt er für sein jüngstes Werk eine utopische Perspektive. Dabei gehe er vom diesjährigen Motto des auftraggebenden ORF musikprotokoll aus: "Spaces of Freedom". Er wolle hier nicht die Gegenwart oder Vergangenheit darstellen, sondern die Zukunft: "Eine spekulative Fiktion darüber, wie die Freiheiten einer kreolisierten Dekolonialität klingen und wie wir Menschen mit diesen neuen Freiheiten leben könnten. Ich erwarte, dass diese klangliche Auseinandersetzung mit neuen Geschichten lebendig und streitbar sein wird, und ich hoffe, dass dies die Entwicklung neuer Arten von musikalischem, kulturellem, kuratorischem und pädagogischem Fachwissen anregen kann, um diese neuen Freiheiten sinnvoll zu nutzen."

Die neue Komposition von George Lewis für das ORF Radio-Symphonieorchester Wien und wird unter der Leitung von Roland Kluttig am Samstag, 5. Oktober 2024 in der Grazer Helmut List Halle uraufgeführt.
(Text: Rainer Elstner)

Service

Columbia University - George Lewis

VAN outernational - Acht schwierige Schritte zur Dekolonisation der Neuen Musik

Cycling '74 - An Interview with George Lewis and Damon Holzborn

The New Yorker - The Sonic Revolutions of George Lewis (by Alex Ross)

Sendereihe

Gestaltung

  • Marie-Theres Himmler