Raphaela Edelbauer

Mafalda Rakoš

Gedanken für den Tag

Literatur als Forschung

von Raphaela Edelbauer, Schriftstellerin

Eine Sache, von der ich zutiefst überzeugt bin, ist, dass Literatur auf eine gewisse Weise realer ist als die sogenannte Wirklichkeit. Lassen Sie mich das anhand eines Beispiels erklären.

Als ich die Gemeinde Groß-Einland für meinen ersten Roman "Das flüssige Land" entwarf, versuchte ich viele reale Gemeinden, in denen das nationalsozialistische Erbe in den Untergrund verdrängt worden war, zu einer einzigen zu montieren. Im Gegensatz zur Hinterbrühl, zu Attnang Puchheim und Gusen existiert Groß-Einland nicht im herkömmlichen Sinne, doch repräsentiert es das, was an den "realen" Vorbildern charakteristisch ist, ironischerweise auf präzisere Weise als diese selbst.

Die in größerer Dichte komprimierten Welten, die das Wesen der Fiktion ausmachen, nehmen deswegen oft einen absurden Charakter an, weil in der Übersteigerung das sichtbar wird, was in der Welt verwässert ist. Hundert Stammtischtrinker in eine einzige Figur amalgamiert, können uns übertrieben oder auf lustige Weise grotesk erscheinen. Doch auf eine andere Weise ist diese Figur auch "echter", da sie den Kern dessen, was einen Stammtischtrinker ausmacht, destilliert und herausarbeitet.

Diese Hyperrealität, die ins Absurdistische mündet, ist nicht obwohl, sondern gerade weil sie so wirklich ist, das Kerngebiet pataphysischer Forschung. Man könnte somit sagen, dass Humor und das Bizarre an den Ergebnissen der Untersuchung nicht nur die Validität literarischer Untersuchung nicht schmälert - sondern in manchen Fällen geradezu beweist, dass man etwas Triftigem auf der Spur ist. Oder, wie Doktor Faustus in Alfred Jarrys gleichnamigem Roman einmal sagte: "Seine Frauen, deren Kleider sich wie die Augenmuster auf dem Rad der Pfauen entfalteten; unterhielten uns mit Tänzen auf den gläsernen Wiesen der Insel."

Service

Raphaela Edelbauer, "Entdecker: Eine Poetik", Klever Verlag 2017
Raphaela Edelbauer, "Das flüssige Land", Klett-Cotta 2019
Raphaela Edelbauer, "Dave", Klett-Cotta 2021
Raphaela Edelbauer, "Die Inkommensurablen", Klett-Cotta 2023
Raphaela Edelbauer, "Routinen des Vergessens". Klett-Cotta 2024

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