Sonja Danner über Erinnerungskultur

24. Oktober 2024, 06:57

Erinnern ist einerseits etwas sehr Individuelles und andererseits auch etwas Institutionalisiertes. Wir erinnern uns an Erlebtes und erleben Erinnerung im Rahmen der Gesellschaft. Wir schaffen uns Erinnerungsorte oder Gedenkstätten, wo wir mit unseren Gedanken und Gefühlen hingehen können, um uns an jemanden oder etwas zu erinnern. Der Friedhof, die Fußball-Fan-Ecke des Lieblingsvereins, aber auch Briefe, Fotos und vieles mehr holen für uns Vergangenes wieder an die Oberfläche.

Offizielle Gedenktage wie der Nationalfeiertag am 26. Oktober oder der Holocaust Remembrance Day am 27. Jänner haben die Funktion kollektive Schlüsselerfahrungen ins Gedächtnis zu rufen, weil sie bis dato nichts an Bedeutsamkeit eingebüßt haben. Sie werden inszeniert und dahinter stehen immer Interessen von Staaten oder bestimmten Gruppen. Was aber, wenn uns diese Inszenierungen nicht berühren?

Vergangenes Jahr war ich in Auschwitz und habe dort eine Führung durch die Gedenkstätte erlebt. Daten und Fakten - hinter denen Schicksale und Menschen stehen - in monotoner Sprache vorgetragen. Ich war verwirrt und emotionslos. Die schrecklichen Schicksale waren meilenweit entfernt. Ich habe mich von der Gruppe entfernt und einen kleinen Stein aufgehoben, um mich irgendwie mit dem Ort zu verbinden. Dann sind die Tränen aufgestiegen. Den Stein habe ich mitgenommen.

Am nächsten Tag sollte ich einen Vortrag halten und wollte ihn beginnen mit diesem Erlebnis. Der Stein lag bereits am Rednerpult. Mein Vorredner kam auf den 7. Oktober in Israel zu sprechen und war sehr emotional. Instinktiv nahm er meinen Stein und hat sich an ihm festgehalten. Er ließ ihn erst wieder los, als er das Thema wechselte.

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