Junge Hände halten alte Hände.

PHOTOALTO/PICTUREDESK/FREDERIC CIROU

Punkt eins

Wenn Kinder Pflegearbeit machen

Hilfe für pflegende Kinder und Jugendliche. Gäste: Assoz. Prof. Dr. Martin Nagl-Cupal, Leiter, Institut für Pflegewissenschaft, Universität Wien und Sofia Jüngling-Badia, ehm. Young Carer, pflegende Angehörige. Moderation: Barbara Zeithammer. Anrufe 0800 22 69 79 | punkteins(at)orf.at

Sie erledigen Einkäufe, machen den Haushalt, kümmern sich um die Geschwister und helfen bei der Körperpflege, sie wechseln Verbände, besorgen Medikamente, trösten und passen auf, kurzum: Sie tun alles, was pflegende Angehörige tun, sind im Schnitt aber erst 12, 13 Jahre alt. Von der Öffentlichkeit werden sie kaum wahrgenommen, von Politik und Gesellschaft oft allein gelassen, dabei betrifft es viele.

Etwa 43.000 Kinder und Jugendliche in Österreich sind so genannte Young Carers, wie sie sin der Fachsprache genannt werden, zeigt eine Studie der Uni Wien: zwischen 5 und 18 Jahren alt, pflegen und betreuen sie zum Großteil einen oft chronisch erkrankten Eltern- oder Großelternteil mit Krebs, Multipler Sklerose, Parkinson, nach einem Schlaganfall oder mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder einer Suchterkrankung.

Die Dunkelziffer ist hoch, sagt Dr. Martin Nagl-Cupal, Leiter des Instituts für Pflegewissenschaft der Uni Wien, der 2011/2012 die erste große Studie über die Situation pflegender Kinder und Jugendlichen in Österreich durchgeführt hat und seither regelmäßig erhebt, wie es Young Carers in Österreich geht und wie man sie unterstützen kann.

Einfach einmal Kind sein dürfen und nicht (nur) pflegende Angehörige, das brauchen Kinder in diesen Lebenssituationen, sagt Sofia Jüngling-Badia und spricht aus eigener Erfahrung. Seit sie sich erinnern kann, ist ihr Vater krank, Multiple Sklerose, seit einigen Jahren Demenz. Auf einem Instagram-Kanal - "unserekleinen.dahamas" - teilt sie ihr gemeinsames Leben in einer Wohngemeinschaft in Oberösterreich als mittlerweile erwachsene Young Carer. Mit allen Hochs und Tiefs der Erkrankungen, mit dem Leid, das sie bedingen, den Lasten und Ängsten, die sie mit sich bringen und den Freuden, die trotzdem möglich sind.

Pflegende Kinder und Jugendliche brauchen, was alle Kinder brauchen, sagt Martin Nagl-Cupal, der zu familienorientierter Pflege forscht: starke Beziehungen, das Gefühl der Zugehörigkeit, Sicherheit und Unterstützung, beispielsweise. Aber sie brauchen auch Informationen über Krankheiten, die helfen, Gesehenes, Erlebtes, Verhaltensweisen einzuordnen, sie brauchen die Möglichkeit zum Austausch, um die Erfahrung zu machen, dass sie mit Schuldgefühlen und Ängsten nicht allein sind, Ablenkung, Verständnis. Und eine Gesellschaft, die Anteil nimmt, eine Politik, die ihre Verantwortung wahrnimmt.

Kürzungen im Sozialbereich führen zwangsläufig zu einer Zunahme der kindlichen Pflege, warnt Martin Nagl-Cupal. Der Migrationshintergrund hat übrigens ebenso wie die soziale Schicht keinen signifikanten Einfluss darauf, weshalb Kinder Pflegeverantwortung übernehmen, sagt er.

Am 20. November, dem Internationalen Tag der Kinderrechte, findet heuer zum 4. Mal auch der Aktionstag für pflegende Kinder und Jugendliche statt mit dem Schwerpunkt Demenzerkrankungen.

Was heißt es, als Kind oder Jugendliche in eine Pflegerolle zu geraten? Wie prägen diese Erfahrungen das Leben und das Erwachsenwerden? Welche Unterstützung gibt es für pflegende Kinder und Jugendliche, welche braucht es und wie gelingt es, Betroffene aus der Verborgenheit zu holen, sie für Hilfsangebote auch zu erreichen? Und wie steht es um die rechtliche, gesellschaftliche und politische Verantwortung?

Sofia Jüngling-Badia und Martin Nagl-Cupal sind Gäste bei Barbara Zeithammer und unsere Hörerinnen und Hörer wie immer sehr herzlich eingeladen, von ihren Erfahrungen zu erzählen, Erlebtes zu teilen, ihre Fragen zu stellen.

Sie erreichen uns live während der Sendung unter 0800 22 69 79 kostenfrei aus ganz Österreich und per E-Mail an punkteins(at)orf.at

Service

Hörtipp:
Moment 15:30 Uhr, Donnerstag, 14. November und 30 Tage zum Nachhören: https://oe1.orf.at/programm/20241114#775860/Von-Kindern-die-kaum-Kind-sein-koennen/|Von Kindern, die kaum Kind sein können.] Eine preisgekrönte Reportage von Miriam Steiner über das Aufwachsen mit einem psychisch erkrankten Elternteil

Website und App Young Carers Austria
Young Carers Club Wien, wöchentliche Treffen für Jugendliche und Young Carers in Wien, Rotes Kreuz Wien

superhands ist ein Projekt der Johanniter und bietet Hilfe und Rat für Kinder und Jugendliche mit Pflegeverantwortung sowie für Angehörige, Multiplikatorinnen und Multiplikatoren.
Hotline: 0800 88 87 87

Pflegefit - kompetent fürs Leben - Pflegekurse für Schüler und Schülerinnen ab der 8. Schulstufe

HPE- Hilfe für Angehörige psychisch Erkrankter
Information, Beratung, Erfahrungsaustausch und Selbsthilfegruppen österreichweit

UN-Konvention über die Rechte des Kindes

Publikationen Assoz. Prof. Dr. Martin Nagl-Cupal (eine Auswahl

Nagl-Cupal, M., Daniel, M., Hauprich, J., Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz (Hg.) (2014): Kinder und Jugendliche als pflegende Angehörige. Konzeptentwicklung und Planung von familienorientierten Unterstützungsmaßnahmen für Kinder und Jugendliche als pflegende Angehörige. Universität Wien.

Nagl-Cupal, M., Daniel, M., Kainbacher, M., Koller, M., Mayer, H., Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz (Hg). (2012): Kinder und Jugendliche als pflegende Angehörige. Einsicht in die Situation gegenwärtiger und ehemaliger pflegender Kinder in Österreich. Bericht. Universität Wien.

Download der Studien als PDF

Sendereihe

Gestaltung

  • Barbara Zeithammer