Mit jedem Meter

11. Jänner 2025, 06:57

"Die Gleichzeitigkeit ist ihr historisches Schicksal und ihre Lehre. Dieser Lehre gerecht zu werden, ist das Einfache, das oft so schwer fällt", schreibt Karl-Markus Gauß über die Donau.

Am Morgen, als Donald Trump zum zweiten Mal die US-amerikanische Präsidentschaftswahl gewann, sah ich zwei junge Menschen nackt im Donaukanal baden. Sie lagen still im Wasser, als wäre es eine warme Wanne. Über der Rotundenbrücke ging zerfasert die Sonne auf, und dieses Bild, das durch das bloße Nebeneinander der Geschehnisse an Bedeutung gewann, sollte mich tagelang nicht loslassen: die Bewegungslosigkeit im eisigen Flusswasser, in seinem Vorwärtsdrängen nicht aufzuhalten, die zerfaserte Sonne darüber. Mit einem Fuß in einer neuen autoritären Ära.

Ich schaute auf mein Donauwasser, das sich beständig weiterschob. Nächste Station Bratislava, nächste Station Budapest. "Die Donau selber ist ein Experiment, das die ganze Welt betrifft - was hier missrät, kann überall scheitern, was hier gelingt, lässt auch für anderswo hoffen", noch einmal Karl-Markus Gauß.

Hoffnung, vielleicht lässt sich hier ansetzen. Die Vorstellungskraft, ein Denken in Möglichkeiten, das hat die Donau seit jeher zum Sehnsuchtsraum gemacht - ein Denken, dem in Zeiten multipler Krisen mehr und mehr droht, vom Denken in Unmöglichkeiten verdrängt zu werden. Die Zukunft ist prinzipiell ein offener Raum, hörte ich einmal auf einem meiner Flussspaziergänge die Stimme einer Passantin. Sie sprach in ihr Telefon, wahrscheinlich meinte sie nicht die Donau neben uns, und doch war dieser Satz wie auf sie zugeschnitten. Einem Fluss sind die realen und die utopischen Möglichkeitsräume, die vor uns liegen, eingeschrieben wie keinem anderen Gewässer. Daran erinnert die Donau mit jedem Meter, den sie fließt.

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