Liebe und Hass

22. Jänner 2025, 06:57

Liebe und Hass sind nicht einfach ein Gegensatzpaar im Sinne einer binären Logik. Ja oder Nein. Sie schließen einander keineswegs aus. Das gilt auch für ihre abgeschwächte Form: Zuneigung und Abneigung.

Der Hass ist keine Abneigung, die der innigen Zuneigung folgt. Eigentlich bedeutet Abneigung eine Abwendung von einem Menschen. Hass dagegen bedeutet, das Verhältnis mit der geliebten Person nicht aufgeben zu können. Es gibt Stendhal zufolge nicht nur bei der Liebe, sondern auch beim Hass eine Kristallisation, eine emotionale Verdichtung.

Bei einer anderen Negation der Liebe ist das nicht der Fall: bei der Gleichgültigkeit. Indifferenz weist darauf hin, dass Liebe etwas mit Differenz zu tun hat. Dabei kommt die Hassliebe ins Spiel. Hebbels alttestamentarische Heldin Judith hasst und begehrt den mächtigen Tyrannen Holofernes, den sie im intimen Zusammensein tötet.

Wie uns die Psychoanalyse lehrt, ist unsere persönliche Lebenswelt, Familie und Liebespaar, von solcher Ambivalenz geprägt: das Verhältnis von Vater und Sohn, von Mutter und Kind, die Beziehung des Liebespaars. Identifikation und Abgrenzung. Liebe und Hingabe drohen mich zu verschlingen, aufzufressen, meine Selbstständigkeit in Frage zu stellen. Aus dieser Abwehr wird die andere Person zur Bedrohung und zur Gefahr. Man muss sich von der Liebe und dem Liebsten abgrenzen. Solange es nicht zum dramatischen Ende kommt, leben wir in diesem Spannungsfeld, das die Ambivalenz eröffnet. Wir können diese Ambivalenz nicht abschaffen, wir können sie aber - gemeinsam - gestalten.

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• Alexandra Mantler