Ambivalenz des Fremden

23. Jänner 2025, 06:57

Was ist Ambivalenz? Ein Gefühl, ein Gedanke, ein Einhalt im Wünschen. Auf keinen Fall ein Entweder-oder, eher ein Sowohl-als-auch. Aber auch das trifft nicht ganz den Kern.

Ambivalenz ist Erlebnis und die Erfahrung, dass Gegensätzliches zusammenkommt, aufeinanderprallt. Sie ist ereignishaft. Wie bei der Begegnung mit dem kulturellen Fremden, aber auch mit dem unergründlich anderen, den man zu kennen meint. Kleine Kinder, die zum ersten Mal einem fremden Menschen begegnen, der anders aussieht als diejenigen der vertrauten Umgebung, weinen und trotzen in solchen Situationen gern, was aufgeklärte Eltern natürlich peinlich finden. Heilsam, selbst ein - weißer - Fremder zu sein, über den sich zwei asiatische Buben im Museum totlachen.

In ihrem Buch "Fremde sind wir uns selbst", das vor dem Hintergrund rassistischer Ausschreitungen im Frankreich der 1990er Jahre entstand, hat sich Julia Kristeva mit der eigenartigen Ambivalenz im Umgang mit dem Fremden beschäftigt. Fremde Menschen werden als monströse, fremdartige, oftmals defizitäre Lebewesen und zugleich als Objekte unserer Wünsche und unseres Begehrens wahrgenommen, als Gegenmodell zu unserer Lebenswelt, die wir nicht selten genießen und an der wir leiden.

Das Fremde ist ein Projektionsschirm unserer Wünsche und Ängste, ein Spiegelbild unserer selbst. Diese These ist auch insofern erhellend, als sie deutlich macht, dass unser Verhältnis zu den anderen und Fremden uns selbst verrät. So sind die Bilder der Fremden und anderen, die wir im seelischen Automatismus entwerfen, immer auch verzerrte Angst- und Wunschbilder von uns selbst.

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