Wenn Sinn erschlägt

26. Februar 2025, 06:57

In der Seelsorge begleiten wir Pfarrer:innen Menschen in biografischen Krisensituationen. Wenn geliebte Menschen gestorben sind, wenn jemand mit sich selbst nicht im Reinen ist, wenn jemand mit einer Diagnose leben lernt.

Dabei stelle ich immer wieder fest: Genauso wie die Suche nach Sinn die Menschen beschäftigt, leiden sie manchmal auch darunter, dass ihnen ihre Umgebung sofort Sinnangebote macht, die ihnen eher schaden als nutzen. Nicht jeder kann und will das Ableben der geliebten Oma sofort als Erlösung sehen, auch wenn das Leiden am Ende groß war. Nicht jede will jede Krise sofort als Chance verstehen.

Wie schräg es werden kann, wenn Sinn und Deutung sofort zur Stelle sind, kann man gesellschaftlich immer dann erleben, wenn Stimmen aus den verstaubten hinteren Ecken verschiedener Religionsgemeinschaften noch immer von einer Strafe Gottes sprechen, wenn Menschen, die anders lebten als es diesen Stimmen gefällt, etwas zustößt.

Im Gegenüber von trauernden Menschen, von Menschen in Krisensituationen, habe ich etwas gelernt, was wir als Gesellschaft auch dringend lernen müssen: Sinnlosigkeit auszuhalten. Deswegen kämpfen wir als evangelische Kirchen übrigens auch weiter für den Karfreitag als Feiertag. Weil wir der festen Überzeugung sind, dass es menschenfreundlicher sein kann, miteinander Sinnlosigkeit auszuhalten als immer gleich eine Deutung parat zu haben. Eine Gesellschaft, die bei jeder Geschichte sofort zum Happy End vorspult, weil sie den Sinn finden will, bevor sie ihn noch miteinander gesucht hat, ist keine, in der sich Menschen mit allem, was ihre Existenz ausmacht, wohlfühlen können.

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• Alexandra Mantler